Fort- und Weiterbildung

Abstracts des Münchener Symposiums für Kinder- und Jugendgynäkologie
Anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Arbeitsgemeinschaft vom 23. bis 25. Oktober 2003, Frauenklinik, Klinikum Großhadern, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Dr. med. Vera Noelle, Leipzig

Das Ullrich-Turner-Syndrom – neue Aspekte

Das Ullrich-Turner-Syndrom (UTS) betrifft ca. 1 : 2 500 Mädchengeburten. Es ist charakterisiert durch klinische Symptome und durch Fehlen eines X-Chromosoms bzw. durch eine Strukturanomalie eines X-Chromosoms. Die charakteristischen klinischen Merkmale sind Kleinwuchs und Gonadeninsuffizienz, viele andere Organsysteme können jedoch auch betroffen sein (Herz, Nieren, Skelettsystem ect.). Die Leitsymptome Kleinwuchs und Gonadeninsuffizienz führen oft zur Diagnose, entweder schon im Vorschulalter in der pädiatrischen Wachstumssprechstunde oder erst in der Adoleszenz bei ausbleibendem Pubertätsbeginn.

In einer eigenen Nachuntersuchung von jungen Frauen mit UTS wurde die Diagnose bei sieben von 23 Patientinnen bereits nach Geburt gestellt, bei den übrigen im mittleren Alter von 10,1 Jahren (4-16 Jahre). Bei der Diagnose „Ullrich-Turner-Syndrom“ sollten weitere Untersuchungen erfolgen: 

  • Karyotyp
  • Ultraschall Niere/kl. Becken
  • Echokardiographie/Blutdruck
  • Schilddrüsenstatus inkl. Autoantikörper
  • Gonadotropine

Die Diagnose wird durch die Chromosomenanalyse gesichert. Der Karyotyp beinhaltet wichtige Informationen für die weitere Behandlung. Patientinnen mit einer Monosomie 45,XO zeigen den ausgeprägtesten Phänotyp, wohingegen Patientinnen mit einem Mosaik (z. B. 45,XO/46,XX) lange unerkannt bleiben können und einen signifikant höheren spontanen Pubertätsbeginn aufweisen (bis 40 %) (2). Sind Y-Anteile nachweisbar (z.B. 45,XO/46, XYL), besteht ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Gonadoblastoms und die Gonadektomie ist erforderlich.

In der pädiatrischen Endokrinologie liegt der Schwerpunkt der Betreuung von Ullrich-Turner-Patientinnen in der Substitution von Wachstumshormon und in der Pubertätseinleitung. Durch sehr frühen Beginn der Wachstumshormontherapie kann die Endgröße von 144 cm auf ca. 150-152 cm gesteigert werden. Die Kinder und Jugendlichen werden regelmäßig gesehen, weitere Erkrankungen werden mitbetreut. Erwachsene Frauen mit UTS sind meist nicht mehr an einem Zentrum betreut, sondern oft nur bei einem Spezialisten wie z.B. Gynäkologen oder Kardiologen. In unserer eigenen Nachuntersuchung wurden 14 von 23 jungen Frauen mit UTS durch den Hausarzt betreut. Dies ist umso kritischer zu diskutieren, da wir heute wissen, dass diese Frauen ein deutlich erhöhtes Risiko für die Entwicklung bestimmter Erkrankungen tragen, welche eine interdisziplinäre Betreuung erfordern. Zu diesen Erkrankungen gehört die Osteoporose, Hypothyreose, Diabetes mellitus Typ II, Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems und des Gastrointestinaltraktes (Colitis ulcerosa, M. Crohn). Auch psychische Störungen treten häufiger auf (Depression, Anorexia nervosa).

Lebensbedrohlich sind die Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems. Sie stellen die Hauptursache für die erniedrigte Lebenserwartung dar. Neuerdings wurde bei erwachsenen Frauen mit UTS das gehäufte Auftreten einer Aortendissektion mit plötzlichem Herztod beschrieben. Vorausgehend ist eine Aortenwurzeldilatation, welche bei 8-28 % der Frauen auftritt und in 1/3 der Fälle vor dem 21. Lebensjahr diagnostiziert wird. Risikofaktor hierfür ist die arterielle Hypertonie, welche schon früh aggressiv behandelt werden muss (3).

Hiervon abzugrenzen sind die kongenitalen Herzvitien, die schon lange beim Ullrich-Turner-Syndrom bekannt sind (bikuspide Aortenklappe, Aortenisthmusstenose). Diese werden in der Regel frühzeitig diagnostiziert, ggf. operiert und haben eine gute Prognose.

In unserer Nachuntersuchung wurden neun von 23 Patientinnen vom Gynäkologen betreut. In der gynäkologischen Praxis finden sich UTS-Patientinnen v.a. wegen der Wahl bzw. Fortführung der Hormonersatztherapie und wegen der Frage nach Kinderwunsch. Eine spontane Pubertät tritt bei ca. 15% der Mädchen mit UTS ein (< 10% bei Monosomie 45,XO) (2). Problematisch ist jedoch die Erhaltung der Ovarialfunktion mit konsekutiver Fertilität. Beim UTS kommt es zu einer frühzeitigen Alterung der Oozyten, die komplette Ovarialinsuffizienz tritt meist schon im Kindesalter auf.

Die meisten Frauen mit UTS benötigen früher oder später eine Hormonersatztherapie. Die Östrogensubstitution ist gerade bei Frauen mit UTS wegen des Osteoporose- und Atheroskleroserisikos wünschenswert. Des Weiteren konnte kürzlich gezeigt werden, dass sich Östrogene positiv auf die kognitiven Funktionen von Frauen mit UTS auswirken (4 ).

Die spontane Schwangerschaftsrate wird mit < 5% angegeben. Seit etwa 15 Jahren gibt es die Möglichkeit der Oozytenspende. Die Schwangerschaftsrate nach Oozytenspende bei Frauen mit UTS ist ähnlich wie bei Frauen mit einer Ovarialinsuffizienz anderer Genese, der Anteil der Fehlgeburten ist jedoch deutlich höher, nur in ca. 50 % kommt es zu einer Lebendgeburt. Bei diesen Kindern liegt in über einem Drittel eine Chromosomenanomalie vor (Trisomie 21, Turner-Syndrom) (5).

Die langfristige Betreuung von erwachsenen Frauen mit UTS sollte idealerweise in einem Zentrum stattfinden mit Zugang zu einem Kardiologen, HNO-Arzt, Endokrinologen, Psychologen und Fertilitätsspezialisten. Dies ist in Deutschland sicherlich vielerorts nicht gewährleistet. Somit muss der betreuende Arzt die Komplexität des Ullrich-Turner-Syndroms kennen.

Die Betreuung sollte folgende Routine-Untersuchungen beinhalten:

Jährlich

  • Klin. Untersuchung (BMI, Blutdruck ect.)
  • Schilddrüsenfunktion
  • Nüchtern-Lipidprofil und Blutzucker
  • Leber-/Nierenfunktion 3-5 Jahre
  • Echokardiographie
  • Knochendichtemessung
  • Audiogramm

(Literatur kann bei den Verfassern angefordert werden.)

Dr. med. V. Noelle, S. Bechtold-Dalla-Pozza, S. Donhauser, H.P. Schwarz,
Universitäts-Kinderklinik, Leipzig