Fachwissen

Rezidivierende Vulvasynechien

Differenzierte Therapieoptionen

von Dr. med. Nikolaus Weissenrieder und Dr. med. Eva-Maria Lochmüller

aus korasion Nr. 2, Mai 2013

„Labiensynechien“ sind in der pädiatrischen Praxis ein häufiger Befund im Genitalbereich von Mädchen. Die Inzidenz wird in der Literatur von 1,5 bis fünf % (bis zu einer Prävalenz von 38 %) der Mädchen angegeben.

Der Befund kann bereits bei der Früherkennungsuntersuchung U3 erhoben werden, wenn interlabial verbliebenes, mit Bakterien angereichertes Smegma zu einer Vulvitis geführt hat. Hier findet sich typischerweise eine hauchdünne, durchscheinende Membran, die die Vulva verschließt. Diese findet ihren Ausgangspunkt nicht von den Labia minora, sondern den beidseitigen Vulvarändern. Wir sprechen deswegen nachfolgend in Anlehnung an die Kollegin Dr. med. Francesca Navratil, Zürich, von einer „Vulvasynechie“, statt der Labiensynechie. Wir finden Vulvasynechien auch noch im Schulalter. Der Häufigkeitsgipfel liegt im Alter von zwei bis vier Jahren. Histologisch gesehen ist die Vulva bedeckt von keratinisiertem, geschichtetem Plattenepithel. Entzündungen oder ein Trauma können zur Bloßlegung der oberflächlichen Epithelschicht führen, die durch den physiologischen Estrogenmangel ausgedünnt ist. Durch die oberflächliche Erosion kommt es zur Verklebung der Vulva mit einer sekundären Epithelialisierung sowie einer avaskulären Synechie. Die Entzündungen können altersabhängig verschiedene Ursachen haben, wie eine bakterielle Infektion durch beispielsweise Fäkalkeime, Wurmerkrankung oder eine atopische Dermatitis. Die häufigste Ursache ist in einer unzureichenden (oder übertriebenen) Hygiene zu sehen sowie in einer Irritation der Haut durch lokale Applikation von Seifen, Schaumbädern, Sitzbädern oder anderen reizenden Stoffen sowie enger Kleidung. Auch eine falsche Defäkationshaltung beim Urinieren kann eine auslösende Ursache darstellen. Bei gesteigertem Masturbationsverhalten kann es zu einer Verletzung der oberflächlichen Zellschichten durch Reibung kommen, ebenso wie bei protrahierter Belastung beim Sport. Ausgeschlossen werden muss eine systemische Erkrankung, wie etwa ein Lichen sklerosus.

Merkblatt Toiletten- und Waschhygiene (pdf-Format)

Die klinischen Befunde sind eindeutig. In der Praxis werden die Kinder gelegentlich mit der Diagnose Hymenalatresie vorgestellt, da der Introitus vaginae nicht mehr zu erkennen ist. Als Folge einer kompletten Synechie kann es bei windelfreien Kindern zum Harnträufeln kommen, dass die lokale Entzündung unterhält. In der Literatur gibt es unterschiedliche Angaben zu Harnwegsinfekten (20 bis 40 %) sowie zu unspezifischen Bakteriurien (20 %). In seltenen Fällen kann es zu einer Obstruktion mit Blasenerweiterungen und Hydronephrose kommen. Der häufigste lokale Befund ist die Vulvitis oder Vulvovaginitis.

Welche Therapie ist die richtige?

Eine Therapie der Vulvasynechie sollte nur erfolgen, wenn eine eindeutige medizinische Indikation als Komplikation vorliegt. In der internationalen Literatur gibt es eine ausgeprägte Kontroverse über die beste Therapie. Von den meisten Autoren wird eine lokale Applikation einer estriolhaltigen Salbe empfohlen. Alternativ kann auch eine Lokaltherapie mit einer kortisonhaltigen Salbe durchgeführt werden. In der Literatur werden eine unterschiedliche Häufigkeit der Applikation (ein- bis dreimal täglich) sowie Anwendungsdauer (zwei bis acht Wochen) beschrieben. Die Erfolgsrate liegt je nach Literatur zwischen 50 bis 91 %, die Rezidivrate bei retrospektiven Studien bis zu 41 %. Als Nebenwirkungen können eine Rötung sowie Brennen der Vulva auftreten, darüber hinaus in ganz seltenen Fällen eine Brustdrüsenreifung, prämature Adrenarche oder uterine Blutungen. Bezüglich einer mechanischen Lösung finden sich unterschiedliche Angaben in der Literatur. Im deutschsprachigen Raum wird das Vorgehen wegen der Traumatisierung der Mädchen durch eine schmerzhafte mechanische Lösung - insbesondere bei derben Adhäsionen - als obsolet und mit dem Risiko der Vernarbung und hoher Rezidivhäufigkeit beschrieben. In der internationalen Literatur finden sich Arbeiten, in denen das Verfahren bei rezidivierenden Vulvasynechien mit minimalem Schmerz und hoher Erfolgsrate beschrieben wird.

Auswertungen unserer Praxis

In der Zeit von 1993 bis 2012 wurden in unserer Praxis 484 Patientinnen mit der Diagnose Vulvasynechie vorgestellt und behandelt. Alle Ergebnisse hierzu werden in Kürze veröffentlicht. In diesem Beitrag beziehen wir uns auf die Daten der Jahre 2011/2012: Insgesamt wurden 108 Patientinnen mit Vulvasynechie geführt. 91 Patientinnen wurden uns von Kollegen (vier Gynäkologen, zwei Allgemeinärzte, 85 Kinder- und Jugendärzte) überwiesen, 17 Mädchen wurden in unserer Praxis betreut. Bezogen auf das eigene Klientel (1.500 Patientinnen/Quartal, etwa 2.500 Patienten jährlich) liegt die Häufigkeit der Diagnose bei 0,7/1.000 Patienten. Der Anteil an Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund betrug 31 Patienten. Die meisten waren mit 70%bei der Vorstellung ein bis drei Jahre alt (Tab. 1), 20 % vier bis fünf Jahre alt, 10%zwischen sechs und 11 Jahren. Als Gründe für die Vorstellung wurden bei Zuweisung unter anderem angegeben: rezidivierende Rötung der Vulva, Harnträufeln, rezidivierende Vulvovaginitis, Harnwegsinfektion, Schmerzen bei der Miktion, verzögerte Miktion und vesikourethraler Reflux.

Tab. 1: Altersverteilung der insgesamt 108 Patientinnen mit der Diagnose Vulvasynechie in den Jahren 2011 bis 2012

Der Lokalbefund wurde bei uns nach vorgegebenen Definitionen eingeteilt: Die Ausprägung der Vulvasynechie wurde beurteilt in eine Synechie, die weniger als ein Drittel, weniger als zwei Drittel oder mehr als zwei Drittel der Vulva verdeckte (Tab. 2). Diese Einteilung war unabhängig davon, ob eine vordere beziehungsweise hintere Synechie oder ein medialer Steg vorlag. Bei knapp zwei Drittel der Patientinnen lag eine mehr als zwei Drittel der Vulva verschließende Synechie vor (65 %). Bei vielen war sogar nur noch eine minimale Öffnung sichtbar, durch die die Urinmiktion erfolgte. Bis auf eine Patientin waren alle zugewiesenen Mädchen von den betreuenden Ärztinnen und Ärzten mit einer lokalen Estrogentherapie vorbehandelt: Zu je 35%erfolgte eine einmalige oder zweimalige Vorbehandlung, in 13 % erfolgten drei Vorbehandlungen, in Einzelfällen wurde eine Behandlung bis zu sechs Mal durchgeführt. Hieraus ergibt sich auch, dass es bei den Patientinnen zu Rezidiven oder Therapieversagern gekommen ist. Nur bei zwei Mädchen lag bei der Vorstellung ein völlig normales Genitale vor.

Tab. 2: Häufigkeit der einzelnen Stadien der Vulvasynechie (n = 108)

Diversifiziertes therapeutisches Vorgehen

Da wir nur Patientinnen – eigenes Klientel ausgenommen – vorgestellt bekommen, die bereits lokal vorbehandelt worden sind, und bei denen ein Rezidiv der Synechie vorliegt, bieten wir nach der Aufklärung ein diversifiziertes therapeutisches Vorgehen an. Nach einer ausführlichen Anamneseerhebung zur bisherigen Durchführung der Lokaltherapie besteht dieses zum einen in einer ausführlichen Anleitung für die weitere Lokaltherapie mit Estriolcreme. Dazu demonstrieren wir den Eltern das Aufbringen der Creme mit einem Wattetupfer (erbsgroße Menge auf einen Q-Tip).

Zum anderen bieten wir den Eltern an, die Synechie nach Durchführung einer lokalen Betäubung in der Praxis zu öffnen (Tab. 3). Dazu massieren wir eine Betäubungscreme (Emla- Creme) im Bereich der Synechie und der Vulva ein und lassen die lokale Betäubung für 20 Minuten einwirken. Wir bitten die Eltern, das Kind für den Zeitraum mit angewinkelten Beinen in Rückenlage abzulenken, damit die Lokalanästhesie einwirken kann. Danach spreizt eine Hilfskraft die Vulva analog zur Traktionsmethode bei der Untersuchung des Genitales. Dadurch kommt es zur guten Darstellung der nicht epithelialisierten, verschließenden Raphe, die mittels eines angefeuchteten Watteträgers von ventral nach dorsal stumpf eröffnet wird. Diese manuelle Lösung benötigt ein bis zwei Sekunden. Während der Durchführung bitten wir die Eltern, das Kind abzulenken oder lassen altersabhängig einen Luftballon aufblasen. Zur Nachbehandlung werden alle Eltern angeleitet, über 14 Tage eine Estrogencreme zu applizieren, die sie von uns ausgehändigt bekommen. Allen Eltern wird ein Merkblatt über die korrekte Durchführung der Genitalhygiene ausgehändigt und das Vorgehen ausführlich erläutert. Zudem werden die Eltern angeleitet, das kindliche Genitale im Sinne einer Rezidivprävention wöchentlich zu inspizieren, und bei beginnender Ausbildung einer durchscheinenden Verklebung diese sofort wieder zu lösen.

Tab. 3: Primäres Vorgehen in der Praxis in Abhängigkeit vom erhobenen Befund und der Entscheidung der Eltern

Wir bitten die Eltern in einem Abstand von acht bis 12 Wochen, eine Nachuntersuchung in der überweisenden oder unserer Praxis vornehmen zu lassen. Die Therapieentscheidung der Eltern wird von vielen Faktoren beeinflusst. Viele Mütter sind mit der Durchführung der Lokaltherapie überfordert. Dies betrifft sowohl maternale als auch kindliche Faktoren. Viele Mütter führen darüber hinaus bereits die normale Genitalreinigung nicht sachgerecht durch. Bei Mädchen im Alter von null bis drei Jahren findet sich häufig in den Hautbereichen zwischen Labia minora und majora mit Fäkalresten kontaminiertes Smegma, das nicht oder nicht regelmäßig entfernt wird. Zudem befürchten Mütter bei der Lokaltherapie eineVerletzung im Hymenalbereich. Als kindliche Hemmfaktoren kommt vor allem die Gegenwehr des Kindes zum Tragen. Gerade Kinder im Kleinkindesalter weigern sich, ruhig auf dem Rücken zu liegen, wehren sich gegen ein Festhalten und verhindern das gezielte Auftragen der Creme. Unter diesem Aspekt nehmen viele Eltern das Angebot einer einzeitigen Lösung gerne an.

Ergebnisse und Rezidivhäufigkeit

Bei zwei Drittel der gering ausgeprägten Synechien (< 1/3) wurde keine Therapie durchgeführt, sondern die Eltern wurden beraten (Tab. 3). Bei zwei Patientinnen wurde die Synechie einzeitig gelöst, bei fünf Mädchen eine nochmalige Estrogentherapie eingeleitet. Bei einer Synechie von zwei Drittel der Vulva führten wir bei drei Patientinnen nur eine Beratung durch, achtmal wurde die Synechie einzeitig gelöst, neunmal eine Estrogentherapie angesetzt. Bei einer nahezu vollständigen Synechie (> 2/3) erfolgte in 40 Fällen eine einzeitige Lösung, in 25 Fällen eine Estrogentherapie. Die insgesamt 19 Patientinnen, bei denen keine Therapie erfolgte, waren zum Zeitpunkt der Vorstellung beschwerdefrei. Es bestand kein Hinweis für ein lokales Entzündungsgeschehen. Von den 108 Patientinnen konnten wir 48 in unserer Praxis selbst nachuntersuchen. Zudem haben wir in der ersten Januarwoche dieses Jahres alle 108 Eltern angeschrieben. In dem Fragebogen wurden unterschiedliche Items abgefragt, wie die Information über die Therapie durch den überweisenden Arzt und bei uns in der Praxis, das Erleben der Mutter bei Durchführung der Therapie, das Verhalten des Kindes bei der Therapie, eine mögliche Traumatisierung des Kindes sowie die Frage nach dem Auftreten oder zeitlichen Auftreten eines Rezidivs nach der Therapie. Bis zum 15. Februar 2013 hatten 45 Eltern den Fragebogen beantwortet. Damit können wir über den Verlauf der Therapie bei 70 Patientinnen eine Aussage treffen. Unter den 38 nicht nachuntersuchten/ nachbefragten Patientinnen sind 19, bei denen wir keine weitere Therapie veranlasst haben. Das heißt, von 89 insgesamt behandelten Patientinnen konnten wir bei etwa 80 Prozent eine Aussage zum Verlauf erheben.

In den Gruppen lokale einzeitige Lösung/ Lokaltherapie mit Estrogenen wurden je 36:34 Patientinnen behandelt. Insgesamt hatte die einzeitige lokale Lösung eine Rezidivhäufigkeit von zirka 25%,die Durchführung der Lokaltherapie mit Estrogenen von etwa 70%bei einer teilweise mehrfach lokal vorbehandelten Klientel. In Tab. 4 sind die Zeitpunkte des Auftretens der Rezidive in Abhängigkeit von der Therapieform, des Ausprägungsgrades der Synechie sowie dem Auftreten des Rezidivs dargestellt. Hierbei ist es bei der Beurteilung von besonderer Bedeutung, den Begriff Rezidiv zu hinterfragen. Wenn eine Synechie innerhalb der ersten acht Wochen nach Behandlung auftritt, ist davon auszugehen, dass es nach der Eröffnung noch Epithelzellen imBereich der gelösten Synechie gab, die ihre normale Oberflächenbeschaffenheit im Heilungsprozess noch nicht erlangt hatten und erneut Fibrin als Entzündungsreaktion produzierten.

Tab. 4: Häufigkeit der Rezidive bei lokaler Lösung/Estrogentherapie in Abhängigkeit von der Ausprägung der Synechie und dem Zeitpunkt des Auftretens

Beim Auftreten eines Rezidives im Bereich von sieben bis 12 Monaten oder später ist davon auszugehen, dass die beteiligten Epithelzellen im Bereich der Synechie abgeheilt waren und das Rezidiv Ausdruck einer neuen Infektion mit konsekutiver Synechie darstellt. Im Zeitfenster drei bis sechs Monate nach Therapie ist die Zuordnung schwierig. Hier kann möglicherweise eine lokale Entzündung nicht ausgeheilt sein, was so ein Rezidiv bewirkt hatte. Unter diesen Gesichtspunkten reduziert sich die Rezidivhäufigkeit bei der einzeitigen lokalen Lösung auf einen Fall bei 36 Patientinnen, bei der Estrogentherapie auf 16 Fälle bei 34 Patientinnen. Die Behandlung der Rezidive (10 Mal bei lokaler Lösung/25 Mal bei Estrogentherapie) erfolgte in sieben Fällen durch eine weitere Estrogentherapie, in 28 Fällen durch lokale Lösung. Ein zweites Rezidiv trat in drei Fällen auf.

Die Befragung der 48 Eltern, die in unserer Praxis nachuntersucht wurden, ergab bei der Frage, ob die lokale Lösung/Estrogentherapie für Ihre Tochter unproblematisch/mäßig problematisch/sehr problematisch war, ein klares Bild: Drei Mütter gaben an, dass die Behandlung mäßig problematisch war. 45 Mütter gaben an, dass die Behandlung völlig unproblematisch war. Keine der Mütter gab an, dass die Tochter durch das Vorgehen traumatisiert wurde. Da wir bei den Patientinnen, die sich zur Kontrolle vorstellten, von einer positiven Einstellung zu unserem Vorgehen ausgehen können, haben wir zur Verifizierung unserer Praxisergebnisse eine Umfrage bei allen im Jahr 2011 bis 2012 behandelten Patientinnen mit der Diagnose Vulvasynechie durchgeführt.

Wie bewerten Eltern und Kinder die Therapie?

Von den angeschriebenen Eltern der 108 Patientinnen antworteten 41. Dadurch können wir bei weiteren 22 Patientinnen den Verlauf beurteilen. 19 der angeschriebenen Patientinnen hatten sich bereits zur Nachuntersuchung vorgestellt. Die Verteilung der bei den angeschriebenen Patientinnen zur Anwendung gekommenen Therapien gibt Tab. 5 wieder. Als erstes wurde die genaue Information über die bereits stattgefundene Durchführung der lokalen Therapie mit Estrogenen abgefragt, da die Vermutung bestand, einen Teil der Rezidive bei Behandlung durch den Einweiser durch eine nicht eindeutig empfundene Aufklärung erklären zu können.Dabei antworteten rund 12 % (ja/verstanden 36, nein fünf), dass sie die Anleitung nicht eindeutig verstanden haben. Einen ähnlichen Prozentsatz (15 %) ermittelten wir auch für die Information und Aufklärung in unserer Praxis (ja/verstanden 12, nein zwei). Das bedeutet, dass auch eine ausführliche und intensive Anleitung mit Demonstration in einer spezialisierten Praxis keine Verbesserung in der Ausführung durch die Eltern bedingt.

Tab. 5: Verteilung der Therapieformen bei Befragung

Als zweites wurde nach dem Erleben der Mutter und des Kindes bei der Durchführung der Lokaltherapie vor Vorstellung in unserer Praxis gefragt. Mehr als die Hälfte der Mütter gab an, dass sie die Durchführung schwierig oder undurchführbar erlebten, 75 % der Kinder wehrten sich wenig oder deutlich gegen die Lokaltherapie. 29 Patienteneltern gaben an, dass die Lokaltherapie nicht erfolgreich war, bei 38 Patientinnen war die Therapie ein- oder mehrmals vom überweisenden Arzt durchgeführt worden. Bei 12 Patientinnen war die primäre Therapie erfolgreich, und es trat eine neue Synechie auf, die zur Vorstellung führte. Im Weiteren teilte sich unsere Befragung in die zwei Therapieformen auf, die bei den Mädchen durchgeführt wurden (23 Mal lokale Lösung, 14 Mal Estrogentherapie). Die Eltern konnten sich wie oben beschrieben für eine Therapieoption nach ausführlicher Information entscheiden. Die erste Frage bezog sich auf die Information und Aufklärung bezüglich der beiden Therapieoptionen. Dabei gaben 92 % der Eltern an, gut informiert und aufgeklärt zu sein. Dieser Wert ist akzeptabel verglichen mit dem Prozentsatz Aufklärung bei Medikamenteneinnahme.

Die nächste Frage bezog sich auf die lokale Betäubung. Diese wurde von etwa 55 % der Mütter als unproblematisch empfunden. Neun erlebten die Prozedur als mäßig problematisch, eine Mutter als sehr problematisch. Die nächste Frage bezog sich auf das Erleben der Mutter und des Kindes bezüglich der Durchführung der beiden Therapieoptionen. Die Durchführung der lokalen Lösung wird von 50 % der Mütter als unproblematisch erlebt (Tab. 6). Knapp 35 % geben an, dass sie die Lösung als sehr problematisch erlebt haben. Die Estrogentherapie wird von jeweils 20% als sehr problematisch oder mäßig problematisch erlebt. Beide Therapieformen werden von den Müttern zu einem deutlichen Teil als problematisch angesehen.

Tab. 6: Erleben der Mütter bezüglich der Durchführung der beiden Therapieverfahren

Wie aber bewerten die Mütter das Erleben der Kinder bei der lokalen Lösung vs. der Estrogentherapie? 65 % der Mütter gaben an, dass die Kinder wenig oder deutlich Widerstand gegen die Lokaltherapie mit Estrogenen leisteten (Tab. 7). Demgegenüber erleben nach Einschätzung der Mütter nur knapp 35%der Kinder die einzeitige lokale Lösung als mäßig oder sehr problematisch; über 65 % beurteilen den Vorgang als völlig unproblematisch. Diese Ergebnisse wurden bestätigt mit der Auswertung der Frage: „Hat Ihre Tochter die lokale Lösung der Synechie nach mehr als vier Wochen noch thematisiert?“ Hier antworteten 19 Mütter eindeutig mit nein. Von den vier Müttern, die mit ja antworteten, wurden von zwei Frauen auch alle vorherigen Fragen (Aufklärung, Durchführung Betäubung, Erleben Mutter, Erleben Kind) negativ beantwortet. Beide Mütter erlebten die Durchführung der Lokaltherapie durch den Zuweiser als undurchführbar, sehr problematisch und nicht aufgeklärt. Beide Mütter gaben an, keine anschließende Lokaltherapie durchgeführt zu haben. Bei den betroffenen beiden Kindern trat nach sechs bis 12 Monaten ein Rezidiv auf, während die beiden anderen Fälle ohne Rezidiv verlaufen sind.

Tab. 7: Beurteilung des Erlebens des Kindes durch die Mutter hinsichtlich der beiden Therapieformen lokale Lösung vs. Estrogentherapie

Als letzten Punkt erfragten wir das Auftreten eines Rezidivs. Von den 23 Patientinnen, bei denen wir eine lokale Lösung durchführten, gaben vier ein Rezidiv an (zirka 17 %). Die Rezidivrate liegt damit besser als im Gesamtkollektiv (25 %). Von den 14 Patientinnen mit lokaler Estrogentherapie gaben sechs Eltern ein Rezidiv an (etwa 43 %). Diese Rezidivhäufigkeit entspricht dem Gesamtkollektiv.

Ergebnisse der Zuweiserbefragung

Wir führen alle zwei Jahre eine Befragung auch unserer Zuweiser durch. Von den insgesamt 121 Zuweisern der Jahre 2011/2012 haben wir eine zufällige Auswahl von 10 Praxen getroffen. Die Frage „Sind Sie mit unserer Kinder- und Jugendgynäkologischen Diagnostik zufrieden?“ wurde von allen Kollegen mit ja beantwortet. Die Frage „Sind die Kindeseltern mit unserer Praxis zufrieden“ wurde von 90%positiv beantwortet. Bemängelt wurde „wenig Zeit in der Praxis“ und bei Privatpatienten „die Höhe der Rechnung“. Die Frage nach Beschwerden der Eltern nach einzeitiger Lokallösung der Synechie in unserer Praxis wurde von allen Praxen beantwortet: Es gab keine Beschwerden. Eine Kollegin gab an, dass eine Patientin nach sechs Monaten wegen einem Rezidiv vorgestellt wurde.

Diskussion

Bei den Patienten unserer Praxis handelt es sich um ein ausgewähltes Kollektiv von nahezu ausschließlich vorbehandelten Patienten, die mindestens einmal oder auch mehrmals wegen einer Vulvasynechie bereits überwiegend bei einem Kinder- und Jugendarzt in Behandlung waren. Ein Nichterfolg der Therapie oder ein Rezidiv stellten den Grund für die Überweisung in eine Spezialsprechstunde für Kinder- und Jugendgynäkologie dar. Ziel der Arbeit war, unterschiedliche Therapieformen bei rezidivierenden Vulvasynechien zu überprüfen. Die Autoren führen seit Jahren bei rezidivierenden Synechien nach Aufklärung eine einzeitige lokale Lösung oder nochmalige lokale Estrogentherapie durch, ohne dass der Therapieerfolg bislang systematisch überprüft wurde.

Als weiteres Ziel wurde eine Überprüfung der Mütter und Kinder bezüglich Erleben und Bewerten der Therapien formuliert. Die entscheidende Frage für die Praxis ist: Wann ist eine Vulvasynechie behandlungsbedürftig? Da bei den uns überwiesenen Patienten vom betreuenden Arzt bereits eine Behandlung zur Lösung der Synechie eingeleitet war, haben wir die Indikation zur Lösung primär als gegeben angesehen. Wir haben nur dann keine Therapie eingeleitet, wenn keine Synechie nachweisbar war oder eine Synechie (< 1/3) bestand, aber keine weiteren Symptome für eine lokale Entzündung, aufsteigende Harnwegsinfektionen oder sonstigen Beschwerden (Schmerzen, Harnträufeln, Enuresis) vorlagen.

In unserer Untersuchung konnten wir nachweisen, welche Therapieform bei rezidivierenden Vulvasynechien in unserer Klientel erfolgreich ist. Die einzeitige lokale Lösung ist dabei der wiederholten Estrogentherapie bezüglich des Auftretens von Rezidiven eindeutig überlegen. Dies betrifft sowohl Rezidive im eindeutigen zeitlichen Zusammenhang, als auch das Auftreten von Neuerkrankungen (Rezidive nach mehr als sechs Monaten). Die lokale Betäubung vor Lösung der Synechie ist für die Hälfte der Mütter problematisch, da sie über einen Zeitraum von 20 Minuten die Kinder ohne weitere Unterstützung durch medizinisches Personal ablenken müssen. Dies gestaltet sich auch nach unserem Empfinden manchmal schwierig. Hier ist es sinnvoll, den Müttern in der Praxis Unterstützung anzubieten. Mütter erleben die lokale Öffnung der Synechie als genauso problematisch als auch die Estrogenbehandlung, die sie bei ihrem Kind über einen längeren Zeitraum durchführen müssen. Von den Kindern wird die lokale Lösung nach Einschätzung der Mütter unter Lokalbetäubung in den allermeisten Fällen ohne Probleme – weder zum Zeitpunkt der Lösung, noch nach einem längeren Zeitintervall – erlebt. Die in der Literatur häufig zitierte Traumatisierung von Kindern bei stumpfer Lösung unter Lokalanästhesiewurde durch unsere Auswertung widerlegt. Bei rezidivierenden Vulvasynechien und eindeutig gestellter Indikation ist die einzeitige Lösung eine therapeutisch sinnvolle Alternative.

Fazit für die Praxis

In unterschiedlicher Literatur wird die mechanische Lösung einer Vulvasynechie als obsolet beschrieben. Bei der Lösung sollen vermehrt Rezidive sowie narbige Residuen auftreten. Wir haben in unserem gesamten Kollektiv (484 Patienten) bei rezidivierenden Vulvasynechien, unabhängig von der Therapieoption, bisher keine einzige Vernarbung der Vulva gesehen. Vernarbungen entstehen, wenn der Synechie eine andere Grunderkrankung, wie ein Lichen sklerosus, zugrunde liegt. Die Rezidivrate ist bei einer lokalen Lösung in unserer Klientel eindeutig niedriger.Wir halten es für die Kollegen in der Praxis für hilfreich, eine von Experten konsentierte Liste von Indikationen zu erstellen, bei denen eine Therapie einer Vulvasynechie medizinisch erforderlich ist:
Indikationen zur Lösung einer Vulvasynechie:

  • totale Vulvasynechie mit Urinieren mit abgeschwächtem Strahl
  • Vulvasynechie mit Harnwegsinfekt
  • Vulvasynechie mit Verlegung des Ostium urethrae externum
  • Vulvaynechie mit retrovesikalem Reflux
  • Vulvasynechie mit Harnträufeln

Alles in allem ist die einzeitige lokale Lösung in unserer Klientel bei rezidivierenden Vulvasynechien einer erneuten lokalen Estrogentherapie hinsichtlich Rezidivhäufigkeit und Erleben des Kindes überlegen.

Anmerkung der Schriftleitung der korasion:

Die lokale Behandlung der Vulvasynechie mit Estriolsalbe ist zeitaufwendig, sowohl für den Arzt (exakte Aufklärung/Demonstration des Handlings der Anwendung der Salbe) als auch für die Mutter und eher selten für das Mädchen; auch nach einer Therapiedauer von 14 Tagen bis drei Wochen, je nach Befund auch länger. Die in dieser Publikation angegebene hohe Rezidivquote können wir bei mehr als 1.500 Synechien mit lokaler Estrogentherapie nicht bestätigen. Die lokale einzeitige Lösung mit lokaler Anästhesie ist in jedem Fall eine Alternative bei rezidivierenden Labiensynechien, die angeboten werden sollte.

Korrespondenzadresse:

Dr. med. NikolausWeissenrieder
Kinder- und Jugendarzt/Frauenarzt
Dr. med. Eva-Maria Lochmüller
Frauenärztin
Praxiszentrum Saarstrasse
Saarstr. 7
80797 München
Zweigpraxis: Ludwig-Zeller-Str. 45
83395 Freilassing