Fachwissen

Leben im falschen Körper

Transsexualität im Kindes- und Jugendalter

von Dr. med. Bernd Meyenburg und PD Dr. med. Annette Richter-Unruh

aus korasion Nr. 2, Mai 2012

Immer häufiger berichten Medien über transsexuelle Kinder und Jugendliche, die sich im falschen Körper fühlen. In unsere Sprechstunde kommen durch das gestiegene Bewusstsein für Störungen in der Geschlechtsidentität (GIS) immer mehr Kinder- und Jugendliche zur Beratung. In Deutschland wurde 1981 das Transsexuellen gesetz (TSG) verabschiedet, inzwischen mehrfach modifiziert; und auch hierzulande wurden Empfehlungen im Sinne einer diagnostischen und therapeutischen Richtlinie erstellt. So wird in den nicht bindenden Leitlinien der sexual medizinischen und psychiatrischen Fachgesellschaften als Altersgrenze das 18. Lebensjahr erwähnt, vor dem operative genitalkorrigierende Eingriffe nicht empfohlen werden. Eine Überarbeitung der Empfehlungen aufgrund der Verschiebung von Diagnostik und Therapie in das erste und zweite Lebensjahrzehnt ist aus unserer Sicht notwendig.

Immer mehr Jugendliche erkennen und bekennen sich aufgrund von Vorbildern in der Öffentlichkeit zu ihrer Transsexualität. Eines dieser Vorbilder ist beispielsweise der 1980 geborene Stabhochspringer Balian Buschbaum, der bis 2007 noch Yvonne hieß. Der durch zahlreiche Fernsehauftritte bekannte Sportler schreibt auf seiner Internetseite: „Meine persönlichen Fragen über mein seelisches Ungleichgewicht, konnte ich Ende 2007 beantworten. Ich befreite mich aus den Ketten meines Körpers und begann zu fliegen.“ Störungen der Geschlechtsidentität sind durch ein anhaltendes und starkes Unbehagen und Leiden am eigenen biologischen Geschlecht charakterisiert. Sie gehen einher mit dem Wunsch der Beteuerung, dem anderen Geschlecht anzugehören und entsprechend leben zu wollen. Kinder leben dabei ihr empfundenes Geschlecht zunächst unbewusst. Jungen, die sich als Mädchen fühlen, fallen in der Regel früher auf: Dass ein Mädchen mit kurzen Haaren und Jeans in die Schule geht und mit den Jungen Fußball spielt, wird akzeptiert. Dass ein Junge mit Strumpfhose und Rock die Schule besucht und auf die Mädchentoilette gehen möchte, wird nicht gewünscht.

GIS können bis zum Wunsch nach einer gegengeschlechtlichen Hormonbehandlung und operativen Geschlechtsumwandlung führen. Die diagnostischen Hauptkriterien sind erstens der dringliche und anhaltende Wunsch, dem anderen Geschlecht anzugehören, und zweitens das andauernde Unbehagen über das eigene Geschlecht. Liegt lediglich ein Unbehagen über das eigene biologische Geschlecht ohne dem Wunsch nach einer möglichst weitgehenden Geschlechtsumwandlung vor, so ist die Diagnose GIS nicht zu stellen. Auch bei der differenzialdiagnostisch in erster Linie abzugrenzenden ichdystonen Sexualorientierung wird nicht der Wunsch nach Geschlechtsumwandlung geäußert. Typischerweise berichten diese Patienten über Zufriedenheit mit dem eigenen biologischen Geschlecht oder gar Ängste davor, ihre Geschlechtsmerkmale aufgeben zu müssen.

Klassifikation

In der in Deutschland üblicherweise verwandten internationalen Klassifikation psychischer Störungen der WHO (ICD-10) wird keine befriedigende Regelung getroffen. Es wird hier differenziert zwischen der Diagnose „Störung der Geschlechtsidentität des Kindesalters“ (ICD-10: F64.2) und – nach der Pubertät – der Diagnose „Transsexualismus“ (ICD-10: F64.0). Diese Differenzierung wurde unter der Annahme getroffen, dass sich nicht notwendigerweise Störungen der Geschlechtsidentität des Kindesalters in Richtung Transsexualismus fortentwickeln. Probleme bestehen bei adoleszenten Patienten, bei denen auch nach der Pubertät oftmals noch nicht mit Sicherheit die Diagnose Transsexualismus gestellt werden kann. Es bleibt dann die unbefriedigende Lösung, die Diagnose „andere Störung der Geschlechtsidentität“ (ICD-10: F64.8) oder „nicht näher bezeichnete Störung der Geschlechtsidentität“ (ICD-10: F64.9) zu stellen. Eine befriedigendere Klassifikation wurde im amerikanischen diagnostic and statistical manual of mental disorders (DSM-IV) gefunden. Es wird differenziert zwischen den Diagnosen „Geschlechtsidentitätsstörungen im Kindesalter“ (302.6) und „Geschlechtsidentitätsstörungen in der Adoleszenz oder im Erwachsenenalter“ (302.85). Es wird hierdurch die vorzeitige Festlegung auf den Begriff Transsexualismus vermieden, der nach allgemeinem Verständnis die Annahme beinhaltet, dass die betroffenen Patienten in jedem Fall eine Geschlechtsumwandlung anstreben.

Diagnostik

Geschlechtsidentitätsstörung & Differenzialdiagnose

Eine GIS muss differenzialdiagnostisch abgegrenzt werden von

  • Schizophrene und wahnhaften Störungen,
  • intersexuellen Störungen,
  • sexuellen Reifungskrisen und
  • ichdystoner Sexualorientierung.

Für eine verlässliche Diagnosestellung bei betroffenen Kindern und Jugendlichen ist ein detailliertes Elterninterview von größter Wichtigkeit. Erfragt werden sollte das erstmalige Auftreten geschlechts atypischer Wünsche und Interessen. Bei typischen transsexuellen Entwicklungen sind diese bis in das früheste Kindesalter zurückzuverfolgen, ohne dass jemals eine Phase geschlechtstypischen Verhaltens beobachtbar war. Es führt allerdings der hohe soziale Druck, dem betroffene Kinder und Jugendliche ausgesetzt sind, nicht selten dazu, dass sich die Betroffenen äußerlich angepasst verhalten. Aus diesem Grund wird die Mehrzahl der Patienten mit Entstehen eines hohen Leidensdrucks nach Einsetzen der Pubertät vorgestellt.

Um zu differenzieren, ob es sich bei vermutetem angepasst geschlechtstypischen Verhalten nur um eine äußere Anpassung handelt, sollte eingehend nach bevorzugten Spielen und Spielzeugen gefragt werden. Typischerweise werden bei äußerlich angepasstem Auftreten jene des Gegengeschlechts bevorzugt: bei Jungen das Spiel mit Puppen, bei Mädchen Raufspiele und Fußball. Erfragt werden sollte auch ein cross dressing, das Tragen von Kleidung des Gegengeschlechts. Jungen bevorzugen schon in der frühen Kindheit Röcke und Kleider, die oftmals durch Tücher, Schals und ähnliches imitiert werden. Auch imitieren Jungen häufig langes Haar und äußern den Wunsch, das eigene Haar lang tragen zu wollen. Bevorzugt werden Spielaktivitäten wie Tanzen und Ballett, besonderes Interesse besteht außerdem an Schmuck und Kosmetik sowie typischen Mädchenfarben wie pink und violett. Spielkameraden sind vor allem Mädchen. Auf der anderen Seite lehnen betroffene Mädchen strikt Mädchenkleider ab. Sie wünschen, nur Jungensachen zu tragen; bei fortschreitendem Alter einschließlich des Tragens männlicher Unterwäsche (Boxershorts). Spielkameraden sind typischerweise Jungen. Mit Eintritt in die Pubertät ist bei beiden Geschlechtern die massive Ablehnung der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale typisch. Mädchen versuchen ihre Brüste durch Abbinden zu verbergen, männliche Patienten legen großen Wert auf das Verbergen primärer Geschlechtsmerkmale beispielsweise durch eng sitzende Unterwäsche. Typischerweise meiden beide Geschlechter, schwimmen zu gehen oder die Teilnahme am schulischen Sportunterricht.

Untersuchung jugendlicher Patienten

Aspekte beim Elterninterview:

  • Zeitpunkt erster geschlechtsatypischer Interessen, Phasen geschlechtstypischen Verhaltens
  • Vornamen
  • Interesse an Kleidung, Schmuck, Kosmetik des anderen Geschlechts
  • cross dressing
  • Spiele/Spielzeuge (Puppen!)
  • Sport und körperliche Kampfspiele (Fußball!)
  • Tanzen, Singen, Ballett
  • Körpererleben, Umgang mit Geschlechtsmerkmalen
    (Brüste, Genitalien)
  • Freunde und Spielkameraden (Geschlecht)

Jugendliche Patienten treten oftmals in der Öffentlichkeit schon als Person des gewünschten Geschlechts auf und führen einen Vornamen des gewünschten Geschlechts. Typischerweise äußern jugendliche Patienten zudem verstärkt den Wunsch nach medizinischen geschlechtskorrigierenden Maßnahmen wie Hormonbehandlung oder Mastektomie. Durch Informationen aus dem Internet sind heute jugendliche Patienten durchaus über ihr Problem informiert: Insbesondere von Jungen, die zum Beispiel ihren Penis abschneiden möchten, wird der Wunsch nach einer Geschlechtsumwandlung auch schon im Kindesalter geäußert. Auf das individuelle Körpererleben ist daher in der Einzeluntersuchung in besonderem Maße einzugehen. Jugendliche Patienten lehnen zum Beispiel typischerweise intime Kontakte zu Partnern ab, bei denen die Gefahr besteht, dass ihr negativ besetzter Körper berührt wird. Von männlichen Patienten wird oftmals jeglicher intimer Kontakt abgelehnt, weibliche Patienten berichten häufiger über intime Kontakte zu Partnerinnen. Der eigene Körper darf in der Regel aber hierbei nicht von den Partnerinnen berührt werden.

Testpsychologie und Fragebögen

Ein detailliertes Interview von Eltern und Patienten erfasst in der Regel die diagnostisch bedeutsamen Punkte. Es existieren Fragebögen, die systematisch die genannten Punkte erfragen, insbesondere der von einer holländischen Arbeitsgruppe entwickelte Utrechter gender identity questionnaire (Cohen-Kettenis et al. 2006). Für den deutschen Sprachraum werden gegenwärtig ein Interessen- sowie Eigenschaftswahlverfahren für geschlechtsidentitätsgestörte Patienten entwickelt, die regelmäßig bei den in der Frankfurter Universitätsklinik vorgestellten geschlechtsidentitätsgestörten Kindern und Jugendlichen angewandt werden.

Ein weiteres einfaches Verfahren ist die Menschzeichnung. So fertigen Patienten mit GIS typischerweise als erstes die einer Person des gewünschten Geschlechts an, während sonst in der Regel eine Person des eigenen Geschlechts als erste Zeichnung angefertigt wird (vgl. Zucker u. Bradley 1995).

Frankfurter GIS-Sprechstunde

In der Frankfurter Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters wurde 1987 eine Spezialsprechstunde für Kinder und Jugendliche mit GIS eingerichtet. Patienten und Eltern werden in dieser Sprechstunde eingehend untersucht und beraten sowie – falls je nach Entfernung möglich – auch psychotherapeutisch behandelt. In größerer Entfernung lebende Patienten werden in der Regel wohnortnah psychotherapeutisch behandelt und bei anstehenden Entscheidungen wie Hormontherapie, operativen Schritten, Vornamens- und Personenstandsänderung in größeren Abständen zum Zwecke von Gutachtenerstellungen und Beratungen den Therapeuten am Heimatort vorgestellt.

Tab. 1: Frankfurter Spezialsprechstunde für Geschlechtsidentitätsstörungen im Kindes- und Jugendalter: Patientenvorstellungen von 1987 bis 2010
  atypische GIS typische GIS
 
weiblich
männlich
weiblich
männlich
Kinder, 4 - 12 Jahre (n)
8
19
4
18
Jugendliche, 13 - 18 Jahre (n)
23
13
57
45
Gesamt (n)
63
124
GIS = Geschlechtsidentitätsstörung; Aufteilung nach biologischem Geschlecht

Die Übersicht in Tab. 1 zeigt, dass bei uns von 1987 bis 2010 insgesamt 187 Patienten mit geschlechtsatypischem Verhalten und Wünschen vorgestellt wurden. 124 dieser Patienten erfüllten beide diagnostischen Hauptkriterien. Die Anzahl adoleszenter Patienten (102) überwiegt deutlich die Anzahl von Patienten im Kindesalter (22). Interessant ist, dass im Kindesalter männliche Patienten überwogen (18:4), während sich dieses Verhältnis im Jugendalter umkehrte und mehr biologisch weibliche Patienten vorgesellt wurden (57:45). Als Erklärung hierfür leuchtet am ehesten ein, dass sich geschlechtsatypisch verhaltende männliche Patienten im Kindesalter deutlich auffälliger sind als sich jungenhaft verhaltende Mädchen. Daher wird bei Jungen früher eine Therapie aufgesucht. Das Geschlechtsverhältnis insgesamt ist ausgeglichen, was auch dem Geschlechtsverhältnis bei erwachsenen transsexuellen Patienten entspricht (Garrels et al., 2000).

Psychotherapie mit offenem Ziel

Das therapeutische Vorgehen bei GIS ist in den Leitlinien zu Diagnostik und Therapie von psychischen Störungen im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter der kinder- und jugendpsychiatrischen Fachgesellschaften (2007) festgelegt. Der erste Schritt ist der einer mindestens einjährigen Psychotherapie, bevor weitere Schritte erwogen werden können. Eine psychotherapeutische Behandlung sollte mit offenem Ziel durchgeführt werden. Sinn der Psychotherapie ist es nicht, geschlechtsatypisches Verhalten und entsprechende Wünsche beseitigen zu wollen, aber doch die Möglichkeit offen zu halten, zu explorieren, ob ein Leben im biologischen Geschlechtskörper nicht doch möglich ist.

Erste Ergebnisse einer in der Frankfurter Spezialsprechstunde durchgeführten katamnestischen Untersuchung zeigen, dass zwar keine Unterschiede im outcome zwischen höher- und niederfrequenter Therapie bestehen, es aber von primärer Wichtigkeit ist, dass Betroffene ausreichend lange auf ihrem Weg begleitet werden und so sichergestellt werden kann, dass der Wunsch nach Geschlechtsumwandlung konsistent – und nicht nur situationsabhängig – besteht. Es wurden Patienten behandelt, die in Krisensituationen längerdauernd den Wunsch nach Geschlechtsumwandlung geäußert hatten, diesen Wunsch dann aber im Therapieverlauf aufgegeben haben. Die Art psychotherapeutischer Behandlung ist dabei ohne Einfluss auf das Ergebnis: Patienten wurden sowohl kognitiv behavioral als auch auf tiefenpsychologischer Basis behandelt. Vorliegende Therapieberichte belegen, dass eine Therapie vor allem bei Kindern häufiger zum Aufgeben des Wunsches nach Geschlechtswechsel führt. Bei erwachsenen transsexuellen Patienten sind keine Fälle bekannt, in denen eine Psychotherapie dieses Ergebnis hatte (Meyenburg 2007).

Ist die gewünschte Rolle stimmig?

Gefordert wird als weiterer wesentlicher Therapieschritt ein Alltagstest: Die Patienten sollen dabei vor Einleitung körperverändernder Maßnahmen, zu denen auch eine Hormonbehandlung zählt, über mindestens ein Jahr weitestgehend als Person des gewünschten Geschlechts leben. Diese Überprüfung, ob die Rolle des gewünschten Geschlechts tatsächlich zutreffend ist, erfordert vor allem bei Patienten im Jugendalter, dass mit Lehrern und Ausbildern entsprechende Gespräche vorab geführt werden. Erstaunlicherweise zeigt dann die Erfahrung, dass Betroffenen in der Mehrzahl großes Verständnis entgegengebracht wird, übrigens auch seitens ihrer Mitschüler. Diese sind wie das gesamte Umfeld in der Regel eher erleichtert, eine Erklärung für das bisher auffallend geschlechtsatypische Verhalten zu haben. Hilfe und Beratung bei einer Vornamensänderung sind in der Zeit des Alltagstests als begleitender Therapieschritt möglich.

Möglichkeiten der Hormonbehandlung

Vor Beginn einer gegengeschlechtlichen Hormonbehandlung ist eine pubertätshemmende Behandlung mit GnRH-Analoga und/oder Antiandrogenen durchführbar (in der Regel ab dem 14. Lebensjahr). Diese zuerst von der holländischen Arbeitsgruppe um Cohen-Kettenis in den 1990er-Jahren eingeführte Behandlungsmethode bietet den Vorteil, dass die oftmals als extrem belastend erlebten pubertären Veränderungen nicht eintreten. Bei männlichen Patienten gefürchtet sind insbesondere Stimmbruch und Bartwuchs, bei weiblichen Patienten Brustentwicklung und Menstruation. Keinesfalls sollten pubertätshemmende Hormone allerdings prophylaktisch vor Eintreten pubertärer Veränderungen verabreicht werden. Die Reaktionen auf die beginnenden pubertären Veränderungen sind ein wichtiges Diagnostikum und liefern zusätzliche Klarheit bei der Entscheidung für oder gegen eine Geschlechtsumwandlung. Empfohlen wird der Beginn einer pubertätshemmenden Behandlung nach Tanner-Stadium II. Die Behandlung sollte von erfahrenen Endokrinologen durchgeführt werden. Stellt sich ein Jugendlicher mit unab- oder abgeschlossener Pubertätsentwicklung in der „Findungsphase“ vor, kann eine Unterbrechung der endogenen Pubertätsentwicklung sofort erfolgen.

Dies hilft dem Betroffenen bei noch unvollständiger Pubertät vor möglichen irreversiblen Veränderungen. Durch die Behandlung mit GnRH-Analoga (zum Beispiel Enantone® oder Decapetyl® 3,75 mg alle 3–4 Wochen s.c.) kann die notwendige Zeit gewonnen werden, die Diagnose zu sichern. Dieses Vorgehen entspricht den publizierten Empfehlungen anderer Behandler und orientiert sich nicht an den in Kürze zur Veröffentlichung freigegebenen Empfehlungen der nordamerikanischen Endocrine Society, die eine Suppression der Pubertät ab einer Genitalentwicklung von Tanner-Stadium II bis III empfi ehlt und gegengeschlechtliche Hormone ab 16 Jahren für indiziert hält.

Die Zeitdauer einer pubertätshemmenden Behandlung ist zeitlich nicht klar begrenzt. Zu berücksichtigen ist, dass es bei unabgeschlossenem Wachstum durch den vorübergehenden Verlust der Sexualhormone zu einem Rückgang der Wachstumsgeschwindigkeit bis zu einem Wachstumsstillstand kommen kann. Nach der Entscheidung für die Behandlung mit gegengeschlechtlichen Hormonen wird die Behandlung mit dem GnRH-Analgon parallel bis zur operativen Entfernung der Keimdrüsen fortgesetzt. Beim Einsatz der gegengeschlechtlichen Hormone ist die Wirkung auf die Wachstumsfugen zu beachten. Über die Spätfolgen der gegengeschlechtlichen Therapie gibt es noch keine zuverlässigen Daten. Aus diesem Grund ist eine Langzeitdokumentation mit Kontrollen der hormonalen Parameter, klinischen Chemie, des Blutbildes, der Knochendichte sowie klinischer Probleme notwendig.

Operative Schritte und Rechtsfragen

Die für chirurgische Schritte bekannte Altersgrenze von 18 Jahren wird bei klaren transsexuellen Entwicklungen heute durchaus unterschritten. Die jüngsten operativ behandelten Patienten in Deutschland standen kurz vor ihrem 16. Geburtstag. Der erste Schritt ist bei biologisch weiblichen Patienten die Mastektomie. Bei biologisch männlichen Patienten ist es die Entfernung des Penis und Schaffung einer Neovagina. Die Kosten für genitalkorrigierende Eingriffe werden in aller Regel von den Krankenkassen getragen, in der Regel nach Einschaltung des Medizinischen Dienstes: Es werden zwei unabhängige Gutachten sowie der Nachweis verlangt, dass die vorbereitenden Therapieschritte (Psychotherapie, Alltagstest) eingehalten worden sind. Eine Namens- und Personenstandsänderung ist nach dem TSG prinzipiell ohne Altersbegrenzung möglich. Der jüngste bekannt gewordene Fall war ein Junge im Alter von neun Jahren in Schleswig-Holstein.

Fazit für die Praxis

Nach neuerer Rechtsprechung durch das Bundesverfassungsgericht ist es jetzt auch ohne operative genitalkorrigierende Schritte möglich, den Personenstand zu wechseln. Das Bundesverfassungsgericht hat kürzlich entschieden, dass betroffene Patienten nicht zu operativen genitalkorrigierenden Eingriffen gezwungen werden könnten, entscheidend sei das erlebte psychische Geschlecht (vgl. „Voraussetzungen für die rechtliche Anerkennung von Transsexuellen nach § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4 Transsexuellengesetz verfassungswidrig“, Az. 1 BvR 3295/07, Beschluss vom 11. Januar 2011). Eine Regelung durch den Gesetzgeber steht hierzu gegenwärtig allerdings noch aus.

Korrespondenzadressen:

Dr. med. Bernd Meyenburg
Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters
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Fax: 069/63 01 58 43
E-Mail: bernd.meyenburg@noSpam.kgu.de

PD Dr. med. Annette Richter-Unruh
Endokrinologikum Ruhr
Alter Markt 4
44866 Bochum
Tel.: 02327/96 42 78
Fax: 02327/96 42 99
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