Fachwissen

Anogenitale HPV-Infektionen im Kinderalter

Daniela Dörfler und Astrid Bernhaus

aus korasion Nr. 2, Mai 2005

Die Inzidenz anogenitaler Warzen bei Erwachsenen, aber auch im Kindesalter ist diversen Berichten zufolge in den letzten Jahren stetig angestiegen (1, 2). Während bei Erwachsenen Condylomata accuminata hauptsächlich auf eine Infektion mit mukosotropen humanen Papillomaviren der Subtypen 6 und 11 zurückzuführen sind (3, 4), dürfte für die Entstehung von anogenitalen Warzen im Kindesalter neben HPV 6 und 11 auch HPV 2 eine Rolle spielen (5).

Bei Kindern, die sich mit Condylomata accuminata präsentieren, muss prinzipiell die Möglichkeit einer Infektion infolge sexuellen Missbrauchs in Betracht gezogen werden. Es sind jedoch auch andere Infektionswege zu erwägen, zumal wenn sich selbst nach eingehender Befragung und Untersuchung des Kindes keinerlei Hinweise auf sexuellen Missbrauch ergeben.

Andere Übertragungswege können eine perinatale Transmission bei HPV-infizierten Müttern oder horizontale Transmissionen durch Autoinokulation von nicht-genitalen Warzen oder durch Heteroinokulation von genitalen oder nichtgenitalen Warzen bei zufälligen Kontakten sein (6, 7).

Angaben in der Literatur

Wie uneinheitlich allerdings die Auffassungen zu nicht-sexuellen HPV-Übertragungswegen ist, zeigen die Ergebnisse verschiedener Studien:

  • C. Stevens-Simon et al. fanden in einer Gruppe von 40 Kindern (im Alter von 5 bis 12 Jahren) ohne anogenitale Warzen bei 16 % der sexuell missbrauchten Kinder HPV-DNS (8). Hingegen gab es keine Hinweise auf eine HPV-Infektion bei Kindern ohne sexuellen Missbrauch in der Anamnese.  
  • Andere Studien zeigten selbst bei Neugeborenen positive HPV-DNS-Untersuchungsergebnisse bei Abstrichentnahme aus der Nase. Neugeborene HPV-16-positiver Mütter waren in 50% HPV-DNSpositiv, wobei in 25 % der Fälle noch nach sechs Wochen HPV-DNS nachgewiesen werden konnte (9).  
  • D.K.B. Armstrong und J.M. Handley konnten bei 31,6% der Kinder, die im Alter von 0,3 bis 11,6 Jahren getestet wurden und bei deren Müttern HPV-Infektionen im Bereich der Cervix uteri bekannt waren, HPV-DNS nachweisen (10). Selbst bei Neugeborenen, die via Sektio zur Welt gekommen waren, fand sich im Nasenabstrich HPV-DNS (10), ebenso aber auch in der Amnionflüssigkeit, in der Plazenta sowie in den Haaren von Neugeborenen bis zu einem Alter von sechs Monaten (11).  
  • In einer Studie, in der 32 Kinder mit Lichen sclerosus (LS) und 29 ohne Lichen sclerosus untersucht worden waren, konnte bei 8 der 32 Kinder mit LS und bei 7 der 29 ohne LS HPV-DNS nachgewiesen werden. In den HPV-positiven Fällen der Gruppe mit LS fanden sich häufiger Highoder Intermediate-risk-HPV-Typen als in jenen Fällen ohne LS. Zudem hatten die HPV-positiven Kinder mit LS in ca. 50% der Fälle Mütter, die innerhalb von drei Jahren nach der Entbindung Dysplasien im Bereich der Cervix uteri entwickelten (12).

Die zuletzt zitierte Studie wirft neben der Frage nach den HPV-Übertragungswegen auch die Frage auf, ob Patienten mit LS – häufig assoziiert mit HLA II DQ7 – möglicherweise auch eine genetisch bedingt höhere Empfänglichkeit für HPVInfektionen haben. Womöglich spiegelt die höhere Anzahl von High-risk-HPVTypen in dieser Patientengruppe aber auch lediglich die verminderte Fähigkeit wider, bestimmte HPV-Subtypen zu eliminieren.

Indikatoren für einen möglichen sexuellen Missbrauch sind u.a. Analfissuren, die die gesamte Zirkumferenz betreffen, ferner Hämatome oder Schwellungen im Analbereich (8), ein weiter Introitus vaginae oder Verletzungen des Hymens. Mitunter ist jedoch trotz eingehender Befragungen und Untersuchungen ein sexueller Missbrauch nicht nachweisbar, oft aber auch nicht gänzlich auszuschließen.

Eigene Untersuchungen

In der kindergynäkologischen Ambulanz der Universitäts-Frauenklinik in Wien wurden im Zeitraum von 2001 bis 2002 insgesamt 114 Kindern im Alter von 2 bis 14 Jahren (Durchschnittsalter: 9,5 Jahre) im Rahmen der Routineuntersuchungen Vaginal- bzw. Zervixabstriche zur Bestimmung von HPV-DNS entnommen. Zudem wurden die Kinder sorgfältig auf Hinweiszeichen für sexuellen Missbrauch sowie auf klinisch manifeste HPV-Infektionen, so etwa auf Condylomata accuminata hin untersucht. Auch wurden die Eltern der Kinder genauestens im Hinblick auf frühere Erkrankungen der Kinder und auf etwaigen sexuellen Missbrauch befragt.

Die Abstriche wurden mit Hilfe von Virgospekula oder per Vaginoskop entnommen und mit dem Hybrid Capture 2-Test (Firma: Digene) unter Verwendung zweier Gensonden auf HPV-DNS mit der Diskriminierung in High-risk- und Low-risk-HPVSubtypen untersucht.

Wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch bzw. wegen tatsächlichen sexuellen Missbrauchs mussten vier Kinder aus der Studie ausgeschlossen werden. Nur eines dieser Kinder wies einen HPV-positiven Abstrich auf.

Von den 110 in der Studie verbliebenen Kindern mit einem Durchschnittsalter von 9,1 Jahren waren 16,4 % (18/110) HPV-positiv, wobei bei sechs Kindern Low-risk-, bei elf Kindern High-risk- und bei einem Kind beide HPV-Subtypen nachgewiesen werden konnten.

Diskussion

Der relativ hohe Prozentsatz an HPV-positiven Kindern wirft einerseits die Frage auf, ob nicht der Anteil
an sexuell missbrauchten Kindern – allerdings ohne klinische Hinweise auf ein solches Geschehen – weitaus höher ist, als den Angaben der Kinder bzw. deren Eltern zufolge anzunehmen ist. Andererseits stellt sich die Frage, ob nicht tatsächlich andere Übertragungswege eine bedeutendere Rolle hinsichtlich der Akquisition von HPV-Infektionen spielen.

A.K. Myhre et al. fanden bei der Untersuchung von Kindern ohne Missbrauch in der Vorgeschichte nur in 3% der Fälle HPV-DNS (3), J. Powell et al. hingegen bei bis zu 25 % der Kinder (12). Es erhebt sich in diesem Zusammenhang allerdings auch die Frage, inwieweit nachgewiesene HPVDNS letztlich die Anwesenheit von humanen Papillomaviren widerspiegelt oder ob die aufgefundene DNS aus anderen Quellen stammt. In manchen Fällen könnte die aufgefundene DNS nämlich auch nur auf eine Kontamination zurückzuführen sein, ohne dass also eine Infektion zugrunde liegt.

Wiederholte Abstrichkontrollen, Untersuchungen auf virale Transkriptionsprodukte und der Nachweis einer Serokonversion wären Möglichkeiten, um eine Kontamination von einer Infektion zu unterscheiden. C. Sonnex et al. konnten HPVDNS von anogenitalen HPV-Subtypen an den Fingern von Frauen und Männern mit genitalen HPV-Infektionen nachweisen. Dies würde die These stützen, dass eine Infektion durchaus durch Heteroinokulation stattfinden könnte (13).

Theoretisch wäre auch eine Übertragung von Viren über gemeinsam mit HPV-infizierten Personen benutzte Handtücher möglich. Dieser Infektionsweg dürfte aber eher unwahrscheinlich sein (7).

Es ist auch völlig unklar, welche Mindestanzahl an Viren notwendig wäre, um eine Infektion im Genitalbereich zu verursachen. Die Wahrscheinlichkeit einer Transmission ist jedenfalls dann relativ hoch, wenn eine große Anzahl von Viren übertragen wird und zudem Mikrotraumata an der Schleimhaut bestehen bzw. auftreten, was wiederum eher bei Geschlechtsverkehr der Fall ist (14 ).

Eine vertikale Transmission von HPV wird in der Literatur sehr kontroversiell diskutiert:

  • Beschrieben werden mittels Polymerase-Kettenreaktion (PCR) nachgewiesene HPV-Infektionen bei 1 bis 20 % der Neugeborenen von Müttern ohne erkennbare zervikale Infektionen (15-17) und bei 5 bis 72 % der Neugeborenen von Müttern, die HPV-assoziierte Zervixveränderungen zeigten (18, 19).  
  • E.M. Smith et al. verglichen mit Hilfe der PCR und der DNS-Sequenzierung Prävalenz und Konkordanz von HPV aus der Cervix uteri und von der Mundmukosa von Schwangeren mit den HPV von der Mundmukosa ihrer Partner und ihrer Neugeborenen. Lediglich bei 1,6% der Neugeborenen fand sich eine HPV-Infektion, und nur in einem Fall konnte eine Konkordanz zwischen den HPV-Subtypen bei Mutter und Neugeborenem gefunden werden (20).

In der Cervix uteri konnten ungeungefähr zehnmal häufiger HPV-Infektionen nachgewiesen werden als an der Mundmukosa, was mit einem Barriereeffekt der stärker keratinisierten oralen Mukosa und der effizienteren Immunabwehr in der Mundhöhle in Zusammenhang stehen könnte. Es könnte dies die Unterschiede hinsichtlich der bei Müttern und Kindern aufgefundenen HPV-Subtypen erklären (20). Da zudem sowohl der Zeitpunkt einer Infektion bei Neugeborenen als auch der Übertragungsweg ungewiss sind, lässt sich nur spekulieren, ob Kontakte mit anderen Familienmitgliedern oder intrauterine Infektionen eine Rolle spielen.

Unklar ist auch, inwieweit nachgewiesene HPV-Infektionen bei Kindern – vor allem in jenen Fällen mit High-risk-HPV – langfristige klinische Implikationen haben bzw. ob diese Infektionen über einen längeren Zeitraum persistieren. Um diese Fragen beantworten zu können, bedarf es der Untersuchung eines größeren Kollektivs über einen langen Zeitraum mit regelmäßigen Kontrollen.

Kontaktadresse:

Dr. med Daniela Dörfler
Universitäts-Frauenklinik Wien
Klinische Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe
Währinger Gürtel 18-20
A-1090 Wien