Fachwissen

Berichte vom IX. Europäischen Kongress

Ist das PCOS bereits präpubertal determiniert?

Marlene Heinz

aus korasion Nr. 1, März 2003

Der IX. Europäische Kongress für Kinder- und Jugendgynäkologie fand vom 02.12. bis 05.12.2002 in Florenz unter der wissenschaftlichen Leitung von Frau Prof. Vincenzina Bruni von der dortigen Universitäts-Frauenklinik statt. Das Spektrum der wissenschaftlichen Beiträge, in Vorträgen, Round-tables, kleineren „Meet the Experts“-Gruppen und auf Postern dargeboten von mehr als 200 Referenten aus Europa, Südamerika und den USA, umfasste nahezu das gesamte Gebiet der Kinder- und Jugendgynäkologie.

Der Kongress wurde mit vier Vorträgen zum Thema „To be an Adolescent today“ eröffnet. M. Waddell, Großbritannien, beschrieb eindrucksvoll die Ängste und Unsicherheiten junger Mädchen infolge familiärer, sozialer, ökonomischer und politischer Konflikte und die daraus resultierenden Aggressionsmuster einschließlich der Flucht in die Schwangerschaft.

P.C. Rivoltella, Katholische Universität Mailand, berichtete über eine Sieben-Länder-Studie zum Thema „Jugendliche und neue Medien“, die zu dem Ergebnis kommt, dass die Nutzung des Internet sowohl für Mädchen als auch Jungen normaler Bestandteil des Alltags ist und keineswegs in die Isolation treibt, sondern soziales Verhalten, Kommunikation und Freundschaften fördert.

D. di Ceglie von der Medical School London referierte über die gestörte Geschlechtsidentität bei Kindern und Jugendlichen, die diesbezüglichen diagnostischen Kriterien und die Problematik bei der Behandlung, unterstützt durch drei Fallbeispiele per Video-Präsentation.

I. Rey-Stocker aus der Schweiz, langjährige Generalsekretärin der FIGIJ, beschäftigte sich sehr kompetent mit der Frage des Schwangerschaftsabbruches hinsichtlich des Rechtes der Mutter auf Gesundheit und Wohlbefinden und des Rechtes des Feten auf Leben unter den Bedingungen der unterschiedlichen Lehrmeinungen des Judaismus, des Christentums und des Islam.

Im Folgenden wird über ausgewählte Themen unter Berücksichtigung aktueller Aspekte berichtet:

Im Topic „Determinants of bone mass“ wurden von allen Referenten die Interaktionen zwischen genetischen Faktoren und Umwelteinflüssen hinsichtlich der Entwicklung der Knochenmasse (PBM) bereits im Kindes- und Jugendalter betont. J.-E. Toublanc, Paris, wies darauf hin, dass eine Östrogen- Gestagen- Substitution bei Essstörungen mit Ovarialinsuffizienz die Knochendichte (BMD) erst dann positiv beeinflusst, wenn infolge ausreichender Ernährung wieder ein normales Körpergewicht erreicht ist. Hinsichtlich der Substitution von Patientinnen mit Turner-Syndrom verwies er auf neuere Arbeiten, nach denen transdermal verabfolgte Östrogene eher eine normale Knochendichte induzieren sollen als orale. Bezüglich der Therapie bei Pubertas praecox vera mit GnRH-Agonisten beschreiben die meisten Autoren eine Abnahme der Knochenmasse während der Behandlung. Zwei Jahre nach Beendigung der Therapie wurden allerdings normale BMD-Werte gefunden.
Die Pubertas tarda mit damit verbundener Spätmenarche und Amenorrhoe ist bekannterweise ein Risikofaktor für die Entwicklung einer Osteoporose. Auch für die Pubertas tarda werden in letzter Zeit zunehmend genetische Faktoren als Auslöser sowohl der verspäteten Pubertät als auch der niedrigen peak bone mass (PBM) diskutiert.

Im Topic „Nutrition and reproductive health“ wurden insbesondere die gegenwärtigen Ernährungsgewohnheiten der Jugendlichen in der „westlichen Welt“ mit den Extremen „Übergewicht“ und „Essstörungen mit Untergewicht“ sowie allen daraus resultierenden gesundheitlichen Schäden von allen Referenten ausführlich besprochen. Es wurde übereinstimmend festgestellt, dass ein Drittel des Übergewichtes der Erwachsenen in der Kindheit beginnt und um so wahrscheinlicher bei der Erwachsenen fortbesteht, je länger es bei dem Kind erhalten bleibt: Essgewohnheiten werden während Kindheit und Adoleszenz geprägt und sind bei Erwachsenen kaum mehr zu verändern. Ursächlich werden für das Übergewicht der Jugendlichen veränderte Essgewohnheiten außerhalb der Familie angegeben: zu wenig Obst, Gemüse, Fruchtsäfte und Milch, statt dessen Softdrinks, Fastfood und andere fettreiche Speisen als schnelle Snacks. Vielfach wird kein Frühstück eingenommen.

A.D. Genazzani, Modena/Italien, betonte in seinem Vortrag die Zusammenhänge von Untergewicht bei Essstörungen/ Amenorrhoe und folgenden Risiken: Verminderung der Knochendichte, Ansteigen der Cholesterolwerte, veränderte Lipoproteine und verminderte Produktion von Schilddrüsenhormonen. Bei unzureichender Nahrungsaufnahme kann zudem die Neuromodulation der reproduktiven Achse empfindlich und nachhaltig gestört werden.

Im Topic „The ‚menopause’ in the evolutive age“ sprach G. Bernini, Florenz, über die iatrogene vorzeitige Ovarialinsuffizienz. Anhand einer retrospektiven Studie mit 100 Mädchen im Alter von 6 Monaten bis zu 17 Jahren, die an verschiedenen malignen Tumoren erkrankt waren (Leukämie, Lymphome, solide Tumoren), belegte er sowohl für die Chemotherapie als auch für die Strahlentherapie, dass die Schädigung der Ovarien von der Toxizität und Dosis des Zytostatikums bzw. von der Strahlendosis und vom Alter und Entwicklungsstand des jeweilig betroffenen Mädchens abhängig ist. Die höchste gonadale Toxizität haben Alkylantien, Antimetabolite, Procarbazin und Cisplatin. Je jünger die Mädchen sowohl unter einer Strahlen- als auch unter einer Chemotherapie sind, um so wahrscheinlicher ist die Wiederherstellung der normalen Ovarialfunktion nach Beendigung der Therapie.

A. Gadducci, Pisa, favorisierte in seinem Vortrag über gynäkologische Malignome und Fertilitätserhaltung bei sehr jungen Frauen das individualisierte Vorgehen, wobei spezialisierte Gynäkologen und Onkologen gemeinsam mit der Patientin und ihren Eltern die Entscheidung für eine Therapie treffen, die dann durchaus von den etablierten Richtlinien bei erwachsenen Frauen abweichen kann.

Im Topic „PCOS from the fetal life to the menopause“ erörterte L. Ibanez, Barcelona, neue ontogenetische Ansichten und therapeutische Konsequenzen bei nicht übergewichtigen Adoleszentinnen und jungen Frauen mit PCOS. Er betonte, dass die pathogenetische Grundlage bereits vor der Menarche und vor Eintritt der Pubertät gelegt wird. Langzeituntersuchungen an Mädchen mit niedrigem Geburtsgewicht und isolierter vorzeitiger Pubarche oder beidem haben ergeben, dass diese Mädchen ein höheres Risiko haben, ab der Adoleszenz einen hyperinsulinämischen Hyperandrogenismus mit Hirsutismus, Menstruationsstörungen und Anovulation zu entwickeln. Mädchen mit vorzeitiger Pubarche haben ab der Präpubertät eine erhöhte zentrale Adipositas. Mädchen mit niedrigem Geburtsgewicht tendieren zu einer verstärkten Adrenarche und zu Hyperinsulinämie. Diese neuen Ergebnisse haben zur Entwicklung alternativer Vorstellungen über die Ontogenese des PCOS mit der Annahme geführt, dass die hyperinsulinämische Insulinresistenz die Schlüsselkomponente ist und bereits präpubertal oder auch schon pränatal ihren Ursprung hat.

Dieses pathogenetische Muster für nicht übergewichtige Frauen mit PCOS wurde kürzlich in Studien zur therapeutischen Anwendung eines niedrig dosierten Androgen-Rezeptor-Blockers und eines Insulin-Sensitizers bekräftigt. Deren Anwendung führte nicht nur zu einer Reduktion des Hyperinsulinismus, der Hyperandrogenämie, des Hirsutismus und der Dyslipidämie, sondern auch zu (erneuten) Ovulationen und außerdem zu einer Reduktion der zentralen Adipositas und einer Zunahme des BMI bei nicht übergewichtigen Adoleszentinnen und jungen Frauen. In seinem Vortrag zur Rolle der Sonographie bei der Diagnostik des PCOS betonte E.Vanzi, Florenz, den dominanten Stellenwert der klinischen Symptome. Auf der Basis der historischen Entwicklung der allgemein anerkannten ultrasonographischen Kriterien zur Diagnose des PCOS wird der Schluss gezogen, dass mit der verbesserten sonographischen Technik die Bedeutung der follikulären Muster für die Diagnostik zugunsten anderer Parameter abnehmen wird, insbesondere zugunsten des beim PCOS immer erhöhten Ovarvolumens, des vermehrten ovariellen Stromas sowie der vermehrten intraovariellen Vaskularisation.

A. Lanzone, Troina/Italien, betonte in seinem Vortrag über die Behandlungsstrategien beim PCOS in der Adoleszenz zunächst die Ziele in dieser Altersgruppe: Senkung der bioverfügbaren Androgene, Blockade der Androgenwirkungen an den Zielgeweben, Stabilisierung des Endometriums und Reduzierung der Insulinresistenz. Der Insulin-Sensitizer Metformin scheint in den vorliegenden Studien an erwachsenen Frauen alle diese Forderungen hervorragend zu erfüllen. Allerdings ist die Zahl der Untersuchungen an Adoleszentinnen bisher noch sehr gering, so dass noch keine Empfehlung für die Anwendung bei Jugendlichen in der klinischen Praxis gegeben werden kann.

Das nicht steroidale Antiandrogen Flutamid ist in niedrigen Dosen wirksam hinsichtlich der Reduktion von Hirsutismus und Serum-Androgenen, LDL und Triglyzeriden bei Mädchen mit funktionellem ovariellen Hyperandrogenismus nach prämaturer Pubarche. Flutamid erhöht aber nicht die HDL-Spiegel und senkt auch nicht die erhöhten Insulinspiegel. Die Effektivität des Aldosteron-Antagonisten Spironolacton hinsichtlich der Senkung der Androgenspiegel wird kontrovers diskutiert. Ebenso wie Cyproteronazetat mindert Spironolacton aber effektiv die Körperbehaarung sowohl bei hirsuten Patientinnen mit ovariellen Störungen und normalen Androgenspiegeln als auch bei idiopathischem Hirsutismus. Und auch bei PCOS wird der Hirsutismus positiv beeinflusst. Östrogen-Progestagen-Kombinationen sind unverändert die gebräuchlichsten Medikamente bei jungen Mädchen mit PCOS, da die angeführten Alternativen zur Behandlung beim PCOS noch nicht ausreichend erprobt wurden und die Nebenwirkungen nicht unbeträchtlich sein können. Es wird angenommen, dass bei langfristiger Östrogen-Progestagen-Behandlung neben dem bewiesenen Effekt der Besserung des Hyperandrogenismus und seiner klinischen Zeichen auch die Tendenz zur Verstärkung der Insulinresistenz und des Hyperinsulinismus positiv beeinflusst werden kann.

In Topic "Sexually transmitted diseases" stellte R.J.C.M. Beerthuizen, Winterswijk/Niederlande, in seinem Beitrag über STD und IUD bei Jugendlichen anhand eines historischen Literaturüberblickes klar, dass die noch immer kritiklos in Lehrbüchern zitierten Ergebnisse aus Untersuchungen der 70er Jahre aufgrund methodischer Fehler nicht zutreffen. Es stimmt nämlich nicht, dass die IUD für Adoleszente und Nullipare ungeeignet sind sowie vermehrt zu STD einschließlich pelvinen Infektionen und häufig zu ektopen Schwangerschaften führen. Unter den Bedingungen eines sorgfältigen STD-Screenings vor Einlage des IUD und einer korrekten Einlagetechnik besteht weder ein erhöhtes Risiko für STD noch für pelvine Infektionen unabhängig vom Alter der Patientin. Für Jugendliche besonders geeignet sind die Kupfer-Intrauterinpessare Flexi-T 300 (das frühere Cu-Safe 300) und das GyneFix-Implant-System, da sie klein und flexibel sind und eine Dilatation des Zervikalkanals nicht erforderlich ist. Beide IUD kommen auch als Notfallkontrazeptiva in Betracht, wenn die Zeit für die "Pille danach" überschritten ist, da sie noch bis zu fünf Tage nach erfolgtem Geschlechtsverkehr eingelegt werden können.
(Wird fortgesetzt).

Berichterstatterin:

Dr. med. Marlene Heinz
Berlin