fachwissen

Kontrazeptive Beratung chronisch kranker Jugendlicher in der frauenärztlichen Praxis

aus korasion Nr. 4, Dezember 1999

Christina Drexel-Fink und Prof. Dr. med. Friedolf Peters
St. Hildegardis-Krankenhaus
Frauenklinik
Hildegardisstraße 2
55131 Mainz

Viele chronisch kranke Jugendliche, die früher bereits im Kindesalter ihrer Erkrankung erlegen wären, erreichen heute aufgrund des medizinischen Fortschritts das Erwachsenenalter. Somit spielen Partnerschaft und Sexualität auch bei dieser Patientinnengruppe eine Rolle, und die Frage nach einer geeigneten Kontrazeption ist zwangsläufig gestellt.

Für den betreuenden Gynäkologen ist die Auswahl der jeweils adäquaten Verhütungsmethode bei dieser Gruppe von Patientinnen erschwert:

  • Es müssen einerseits mögliche Kontraindikationen aufgrund der chronischen Erkrankung beachtet werden.
  • Andererseits gilt es, gegebenenfalls Wechselwirkungen zwischen dem Verhütungsmittel und den wegen des Grundleidens erforderlichen Medikamenten zu beachten.
  • Zudem verläuft eine chronische Erkrankung oft schubweise oder mit wechselndem klinischen Bild, so dass eine engmaschige Kontrolle der Patientinnen erforderlich sein kann.

Generell sind orale Kontrazeptive in der Adoleszenz sicherlich Mittel der ersten Wahl. Dies gilt nach dem Stand der derzeit verfügbaren Literatur auch für die meisten chronisch erkrankten Jugendlichen. Bei einer Reihe chronischer Erkrankungen liegen jedoch Kontraindikationen auch gegen moderne orale Kontrazeptiva vor, so dass man auf andere, weniger sichere Verfahren ausweichen muss. Allerdings können auch diese Alternativmethoden bei chronisch kranken Patientinnen mit spezifischen Risiken behaftet sein:

Für Patientinnen, die an kongenitalen Herzerkrankungen leiden, ist im Falle von Vitien mit relevant veränderter Hämodynamit besonders das erhöhte Thrombembolierisiko zu beachten. Auch stellen eine Blutdruckerhöhung sowie eine Wasserretention, die eventuell unter Einnahme oraler Kontrazeptiva auftreten können, ein Risiko für diese Patientinnen dar. Intrauterinpessare (IUP) erhöhen besonders bei Patientinnen mit Klappenvitien und Shuntläsionen das Endokarditisrisiko. Zudem stellt die bei IUP-Anwendung verstärkte Monatsblutung unter chronischer Antikoagulation mit Cumarinen ein Problem dar. Die Kombination von Cumarinen mit der “Pille” ist möglich.

Chronisch obstruktive Lungenerkrankungen im Jugendalter (Asthma bronchiale, Mukoviszidose) stellen allgemein keine Kontraindikationen gegen die Anwendung oraler Kontrazeptiva dar. Allerdings müssen Patientinnen mit Mukoviszidose - besonders im Hinblick auf eine Leberfunktionsstörung - engmaschig dahingehend überwacht werden, ob der adäquate Abbau der zugeführten Steroide gewährleistet ist.

Leiden Patientinnen bereits in der Adoleszenz an chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, so ist der Einsatz oraler Kontrazeptiva kritisch zu prüfen: Einerseits ist nach dem Stand der Literatur ein negativer Effekt oraler Kontrazeptiva auf den Krankheitsverlauf zur Zeit nicht sicher ausgeschlossen. Andererseits kann die ausreichende Wirkstoffresorption insbesondere bei floriden Erkrankungen mit Durchfällen gestört sein. Bei diesen Patientinnen muss daher gegebenenfalls zusätzlich auf Barrieremethoden (z. B. Kondome) zurückgegriffen werden.

Chronische Leberfunktionsstörungen im Jugendalter (z. B. auf der Basis eines M. Wilson) gelten bei bereits beeinträchtiger Leberfunktion als Kontraindikationen gegen orale Kontrazeptiva. Einige Autoren sehen allerdings in der Anwendung reiner Gestagenpräparate (Dreimonatsspritze, Levonorgestrel-haltige Intrauterinpessare) eine Alternative. Obwohl eine relevante systemische Kupferresorption aus kupferhaltigen Intrauterinpessaren offensichtlich nicht stattfindet, sollten diese bei bekanntem M. Wilson eher nicht eingesetzt werden.

Bei jugendlichen Patientinnen mit chronischer Niereninsuffizienz und unter Hämodialyse gilt allgemein für den Einsatz oraler Kontrazeptiva eine strenge Indikationsstellung. Im Vordergrund der Überlegungen stehen insbesondere die Effekte oraler Kontrazeptiva auf die Flüssigkeitsbilanz des Organismus sowie deren ungünstige Effekte auf einen möglicherweise bereits manifesten Hypertonus.

Niedrig dosierte orale Kontrazeptiva stellen die Mittel der Wahl für junge, schlanke Typ-I-Diabetikerinnen dar. Voraussetzung ist allerdings eine durch intensivierte Insulintherapie gut eingestellte Stoffwechsellage. Sekundärphänomene wie Hypertonie, Mikroangiopathie, Ischämie oder gar abgelaufene thromboembolische Ereignisse stellen jedoch eindeutige Kontraindikationen gegen Ovulationshemmer dar. Auch die Verordnung oraler Kontrazeptiva an diabetische Raucherinnen ist problematisch. Bei diesen Patientinnen muss durch Beratung erreicht werden, das Rauchen aufzugeben oder aber auf die Anwendung der “Pille” zu verzichten. Gegen die Anwendung von Intrauterinpessaren bestehen keine prinzipiellen Bedenken. Das Risiko für das Auftreten von Adnexitiden ist bei Diabetikerinnen im Vergleich zu stoffwechselgesunden Frauen kaum erhöht.

Auch Gerinnungsstörungen können bereits im Kindes- und Jugendalter auftreten. Interessanterweise ist jedoch bei einem manifesten von-Willebrand-Jürgens-Syndrom der Einsatz oraler Kontrazeptiva nicht nur möglich, sondern führt sogar zur Reduktion sonst beobachteter Krankheitssymptome: Verstärkte Monatsblutungen werden normalisiert, und die gefürchtete Komplikation einer intraabdominellen Blutung aus einem Corpus luteum wird durch die Ovulationshemmung verhindert. Maßnahmen, die die ohnehin starken Monatsblutungen weiter verstärken, müssen bei diesen Patientinnen hingegen vermieden werden. Bei diesen Patientinnen gilt daher die Einlage eines Intrauterinpessares als kontraindiziert.

Anfallsleiden stellen bereits im Kindes- und Jugendalter eine nicht zu vernachlässigende Krankheitsgruppe dar. Der Einsatz oraler Kontrazeptiva bei den Betroffenen ist möglich. Allerdings muss beachtet werden, dass die oft verabreichten Antikonvulsiva zu einer Induktion von Leberenzymen führen, so dass es zum beschleunigten Abbau der zugeführten Steroidhormone kommt. Deshalb muss mit einer erhöhten Ovulationshemmer-Versagerquote bei diesen Patientinnen gerechnet werden. Durch Bestimmung der Konzentrationen von LH und Estradiol im Serum vor und während der Einnahme von oralen Kontrazeptiva kann abgeschätzt werden, inwieweit eine zuverlässige Hemmung der Ovulation erzielt wird. In allen Zweifelsfällen kann zumindest die zusätzliche Anwendung von Berrieremethoden indiziert sein.

Migräne und andere Cephalgien im Jugendalter sollten Anlass zu einer kritischen Überprüfung des Einsatzes oraler Kontrazeptiva sein, auch wenn eine Kontraindikation im engeren Sinne nicht besteht. Die Ergebnisse  mehrerer Studien weisen zumindest darauf hin, dass sich eine Kopfschmerzsymptomatik bei entsprechend prädisponierten Patientinnen verstärken kann. Es ist somit zu empfehlen, betroffene Patientinnen engmaschig zu überwachen und bei vermehrtem Auftreten von Kopfschmerzen die Kontrazeptiva abzusetzen.

Aufgrund der enormen Fortschritte in der Perinatalmedizin und Pädiatrie konnte die Überlebenschance von Kindern mit Neuralrohrschlussstörungen (Spina bifida, Myelomeningozele) deutlich verbessert werden: Orale Kontrazeptiva vermindern zwar die Stärke der Menstruationsblutungen, was hinsichtlich der Monatshygiene der oft auf den Rollstuhl angewiesenen Patientinnen positiv zu werten ist. Andererseits darf jedoch das erhöhte Thromboserisiko bei immobilisierten Patientinnen nicht vernachlässigt werden. Intrauterinpessare stellen keine echte Alternative dar, da die verstärkten Monatsblutungen bei erschwerter Monatshygiene den Weg für unbemerkte aszendierende Infektionen bereiten können. Häufig ist daher angezeigt, die Patientinnen (bzw. die Paare) in der Anwendung mechanischer Kontrazeptiva anzuleiten.

In manchen gynäkologischen Praxen werden - besonders im räumlichen Umfeld entsprechender betreuender Einrichtungen - nicht selten junge, geistig behinderte Patientinnen vorgestellt. Diese Patientinnengruppe ist dadurch gekennzeichnet, dass die Kooperation bei der gynäkologischen Diagnostik eingeschränkt und die Patientinnenaufklärung erschwert ist. Außerdem muss von einer eingeschränkten Compliance der Patientinnen beim Einsatz einer kontrazeptiven Methode ausgegangen werden. Prinzipiell haben sich bei diesen Patientinnen in erster Linie kontrazeptive Methoden bewährt, die ein geringes Maß an Mitwirkung erfordern, es sei denn, dass die regelmäßige Einnahme oraler Kontrazeptiva von einer Betreuerin kontrolliert wird. Mittel der Wahl für junge, geistig behinderte Frauen sind dementsprechend Depotgestagene (z. B. Medoxyprogesteronazetat in Form der sog. Dreimonatsspritze). In der Literatur wird zudem aber auch - mit entsprechenden Vorbehalten bei nulliparen Frauen - die Einlage eines Intrauterinpessars empfohlen. Der Möglichkeit einer Sterilisation geistig behinderter junger Frauen sind durch den Gesetzgeber enge Grenzen gesetzt. Grundsätzliche Voraussetzungen für eine Sterilisation sind, dass die Gefahr einer unerwünschten Schwangerschaft im Einzelfall konkret droht, ein eventuell gezeugtes Kind ebenfalls behindert sein wird (bei erblich bedingten Behinderungen) und die Kindsmutter keine ausreichende psychosoziale Bindung zu ihrem Kind aufbauen kann. Zudem muss dem befassten Gericht gegenüber bescheinigt werden, dass eine drohende Schwangerschaft nicht durch andere kontrazeptive Maßnahmen sicher verhindert werden kann.

Auch bei drogenabhängigen jungen Frauen stellt die Compliance das Hauptproblem bei der Auswahl einer kontrazeptiven Methode dar. Somit kommt auch bei diesen Patientinnen in erster Linie die Applikation eines Depotgestagens in Frage. Gegen die Anwendung oraler Kontrazeptiva sprechen zusätzlich die gehäuft auftretenden Durchfälle (z. B. im Heroinentzug) sowie die hohe Durchseuchung mit Hepatitiden bei i. v. Drogenanwendung. Bei den betroffenen Frauen muß ein hohes Maß an kontrazeptiver Sicherheit angestrebt werden, da in vielen Fällen mit erheblichen Schwangerschaftskomplikationen zu rechnen ist. Die zusätzliche Anwendung von Kondomen muss zur Verhütung der sexuellen Übertragung des HIV sowie von Hepatitis B und C dringend angeraten werden.

Schon die Schwere der chronischen Erkrankungen zeigt, dass die betroffene Patientinnengruppe besondere Aufmerksamkeit hinsichtlich der Auswahl einer geeigneten kontrazeptiven Methode und auch eine das übliche Maß übersteigende Betreuung erfordert. Dies heißt: Es sollte unbedingt eine interdisziplinäre Betreuung angestrebt werden, und die engmaschigen Kontrollen sollten mit besonderem Augenmerk auf spezifische unerwünschte Wirkungen erfolgen.

Verfasser:

Christina Drexel-Fink und Prof. Dr. med. Friedolf Peters