Fachwissen

Die Brust - komplexes Organ und Attribut der Weiblichkeit

Therapie von Brustentwicklungsstörungen in Pubertät und Adoleszenz

Ein Beitrag von Dr. med. Bettina Löhrs

aus korasion Nr. 4, November 2010

Neben ihrer genuinen Funktion ist die Brust eines der sichtbarsten Attribute der Weiblichkeit. Zudem kann sich kaum ein Mädchen den Einflüssen des von Massenmedien dargestellten Idealbilds entziehen. Fehlbildungen, auch Normabweichungen können zu massiven Einbußen an Lebensqualität und psychischen Problemen führen. Deshalb sollten alle Ärztinnen und Ärzte, die Mädchen und Frauen betreuen, vertraut mit der normalen Entwicklung der Brust, Normvarianten und Pathologien sowie deren Therapie sein.

In der Embryonalphase kommt es ab der vierten Embryonalwoche zur Ausbildung von paarigen Milchleisten. In der sechsten Woche bei einer ungefähren Länge des Embryos von acht Millimeter bilden sie sich wieder zurück. Durch Einstülpung des Ektoderms auf Höhe der vierten Rippe in das Mesenchym entstehen in der achten bis zehnten Embryonalwoche die primären Epithelknospen oder Anlagen der Milchdrüsen. Das weitere Wachstum wird durch die mütterlichen via Plazenta an den Fetus abgegebenen Hormone ab circa der 20. Schwangerschaftswoche (SSW) ausgelöst. Es kommt zu einer Aussprossung der 15 bis 20 Sekundärknospen, wodurch sich die Hauptmilchgänge entwickeln. Gleichzeitig entsteht ein Grübchen, in dem sich circa in der 30. SSW die mittlerweile kanalisierten Milchgänge öffnen. Zum Ende der Gestationszeit entsteht um das mittlerweile etwas erhabene Zentrum der Milchgänge durch Epithelproliferation die Areola. In der Neonatalperiode wirken die mütterlichen Sexualhormone noch rund zehn Tage. Hierdurch entsteht die nicht seltene Brustdrüsenschwellung (teilweise bis sechs Monate postnatal) und Kolostrumproduktion. Bis zum Einsetzen der Pubertät stagniert das Brustwachstum. Die von den Ovarien gebildeten Sexualhormone induzieren dann die weitere Ausreifung nach Tanner (Tab. 1). Es kommt zu einer Form- und Größenänderung der Brust, weiterer Ausdifferenzierung der Brustdrüse sowie zur Zunahme des Bruststromas. Ein Abschluss der Brustreifung ist erst zwei Jahre nach der Menarche anzunehmen. Gewicht wie auch Größe und Form sind äußerst variabel (Tab. 2), angegebene Maße zum Brustgewicht in Europa sind daher Anhalts- und keine Absolutwerte.

Tab 1: Tanner-Stadien der Brustentwicklung
Stadium Alter Brustentwicklung Körperliche Entwicklung
B1 < 8 Lj. Ruheperiode infantil
B2 11. Lj. Vergrößerung der Areola
Brustdrüsenknospung
Längenwachstum
B3 12. Lj. Drüsenkörperzunahme Längenwachstumsschub
B4 13. Lj. Knospenbrust Menarche, Pubarche
B5 15. Lj. reife Brust, Mamma papillata ovulatorische Zyklen
Tab 2: Brustgewicht Europa (keine Absolutwerte)
eutrophe Brust 250 bis 500 g
hypoplastische Brust < 250 g
"große" Brust > 500 g
Makromastie > 750 g

Entwicklungsstörungen und ihre Behandlung

Bei den endokrinologisch bedingten Brustentwicklungsstörungen steht die Gesamtproblematik der zugrunde liegenden Störung im Vordergrund. Im Folgenden soll, unabhängig von der Notwendigkeit der endokrinologischen und genetischen Diagnostik, lediglich der Symptomenkomplex der Brustentwicklung am Beispiel relativ häufig vorkommender Endokrinopathien abgehandelt werden. Die angesprochenen Therapien beziehen sich nur auf Induktion oder Beschleunigung der Brustentwicklung. Zu unterscheiden sind:

Endokrinopathien mit Hemmung der Brustentwicklung:

  • Gonadendysgenesien (zum Beispiel Ullrich-Turner-Syndrom)
  • Pubertas tarda (Normvariante!)
  • adrenogenitales Syndrom (AGS)

selten sind dabei:

  • hypothalamische Ovarialinsuffizienz (Kallmann-Syndrom)
  • Ovarialagenesie/Dysgenesie (Swyer-Syndrom)
  • primäre Ovarialinsuffizienz (Chemotherapie, Autoimmunerkrankungen)

Endokrinopathien mit Beschleunigung der Brustentwicklung:

  • prämature Thelarche

selten sind dabei:

  • infantile Makromastie
  • pubertäre Makromastie

Endokrinopathien mit Hemmung der Brustentwicklung

Mit 1 : 2 500 bis 5 000 Geburten ist das Ullrich- Turner-Syndrom (UTS) relativ häufig. Neben dem bei über 90 Prozent auftretenden Kleinwuchs und einer primären Amenorrhö ist die fehlende oder hypoplastische Brust typisch. Zudem finden sich häufig thorakale Fehlbildungen, wie ein Schildthorax, eine Trichterbrust oder ein sehr weiter Mamillenabstand sowie Mamillenhypoplasien. Nach entsprechender Diagnosestellung sollte frühzeitig, ab dem 12. Lebensjahr, mit einer Estrogensubstitution einschleichend (Estradiol 0,3 mg/d für sechs bis zwölf Monate, Steigerung auf 0,6 mg/d) begonnen werden. Nach circa zwei Jahren kann die Vollsubstitution erfolgen. Trotz rechtzeitiger Substitution erreichen viele Mädchen mit UTS lediglich ein Tanner-Stadium B2 bis B3. Bei massiver psychischer Belastung kann eine Augmentationsplastik erwogen werden.

Bei Pubertas tarda liegt eine konstitutionelle Entwicklungsverzögerung mit deutlich verspätetem Abschluss der Wachstumsphase (teilweise erst nach dem 19. Lebensjahr) vor. Pathognomonisch ist eine Synchronizität zwischen Knochenalter, Längenwachstum, Pubertätswachstumsschub und Pubertätsstadium. Bei über 80 Prozent findet sich bei nahen Verwandten ein ähnlicher Pubertätsverlauf. Wenn andere Ursachen für die verspätet einsetzende Pubertät ausgeschlossen sind, dann ist in der Regel keine Therapie erforderlich. Die Phasen der Pubertät verlaufen meistens normal, wenn sie bereits eingesetzt hat. Aus psychischer Indikation kann eine Induktion der Pubertät durch Estradiol oder Estradiolvalerat diskutiert werden.

Das AGS wird meist durch einen autosomalrezessiv vererbten Defekt der 21-Hydroxylase verursacht. Es kommt als klassischer 21-Hydroxylasedefekt mit Salzverlustsyndrom, als Late-onset-AGS und als kryptisches AGS in drei Schweregraden und unterschiedlichen phänotypischen Ausprägungen vor. Neben weiteren Symptomen findet sich unterschiedlich ausgeprägt eine Androgenisierung mit Ausbleiben des Brustwachstums. Neben der notwendigen Steroid- kann hier die Estrogensubstitution erfolgen.

Endokrinopathien mit Beschleunigung der Brustentwicklung

Im Kindesalter kann es zu einem isolierten Wachstum einer oder beider Brustdrüsen kommen. Das Brustwachstum sistiert in der Regel im Tanner-Stadium B2. Gelegentlich ist die wachsende Brustdrüse durch die entstehende Spannung leicht druckschmerzhaft. Von einer prämaturen Thelarche wird nur bei Fehlen sonstiger Estrogenisierungszeichen und vor allem ohne Akzeleration des Knochenalters gesprochen. Durch klinische Untersuchung und Labordiagnostik sowie radiologische Bestimmung des Knochenalters müssen andere Ursachen des Brustwachstums ausgeschlossen sein. Die prämature Thelarche bedarf keiner Therapie. Bei der infantilen Makromastie kann es zur deutlichen Größenzunahme der kindlichen Brust kommen. Dieses Symptom ist meist durch eine abortive Reifung von einzelnen Oozyten induziert. Auch hier ist keinerlei Therapie außer einer Kontrolle angebracht. Bei pubertärer Makromastie sind differenzialdiagnostisch Riesenfibroadenome oder eine pseudoangiomatöse Mastopathie auszuschließen. Unabhängig von Körpergewicht oder Pubertätsphase kommt es zu einer rapiden und massiven Größenzunahme einer oder beider Mammae. Gelegentlich findet sich bei der Diagnostik eine Lutealinsuffizienz, zum Teil vergesellschaftet mit einer gleichzeitigen Prolaktinämie. Bei durch Prolaktinhemmer nicht aufhaltbarem Wachstum der Mammae bleibt als medikamentöse Therapie lediglich ein Versuch mit „off-label“-Medikamenten wie Tamoxifen oder Aromatasehemmern nach eingehender Aufklärung und schriftlicher Einwilligung. Oft führt jedoch die medikamentöse Therapie nicht zum gewünschten Erfolg, sodass die operative Therapie zu diskutieren ist. Diese sollte, um funktionsfähiges, ausdifferenziertes Restdrüsengewebe belassen zu können, erst zwei Jahre nach der Menarche erfolgen.

Fehlbildungen der Brustwarze

Fehlbildungen der Brust werden als Folge einer Schädigung in der Embryonalphase gesehen. Ihr Ausmaß hängt vorrangig vom Zeitpunkt der Schädigung ab. Neben Fehlbildungen von Brustwarze, Brustdrüse und Brustwand sollen auch Normvarianten wie Asymmetrien angesprochen werden (Tab. 3). Zu den Fehlbildungen der Brustwarze zählen Athelien, Polythelien sowie Hohlwarzen. Bei den seltenen Fällen von Athelien ohne weitere Syndromenkomplexe ist eine Androgeneinwirkung in utero in Diskussion. Bei Athelien werden zusätzlich häufig Nieren agenesien diagnostiziert. Therapeutisch kann eine Mamillenrekonstruktion durch distantes pigmentiertes Gewebe, zum Beispiel Labie oder Oberschenkelinnenseite, erfolgen. Auch eine Tätowierung der Areola ist möglich. Der Nippel selbst wird meist entweder durch eine kleine gestielte Lappenplastik oder, falls einseitig fehlend, durch freie Transplantation eines Teiles des vorhandenen Nippels gebildet. Polythelien entstehen durch ausbleibende Rückbildung der Milchleisten in der fünften bis zehnten Embryonalwoche. Akzessorische Brustwarzen im Verlauf der ehemaligen Milchleisten sind mit einer Inzidenz von mindestens 1,5 bis sechs Prozent relativ häufig. Sie werden oft als Naevi fehldiagnostiziert. Sehr selten findet sich hingegen eine intraareoläre Polythelie. Ein Therapiebedarf besteht nicht. Bei eingezogenen, nicht evertierbaren Mamillen wird in der Literatur die Inzidenz mit circa 1 : 57 angegeben. Gelegentlich kommt es zu Hygieneproblemen und Infektionen. Meist herrschen jedoch Stillprobleme vor. Da die Therapie in einer Durchtrennung des retroareolären, „retrahierenden“ Duktus besteht, sollte eine Korrektur erst nach abgeschlossener Familienplanung erfolgen.

Tab 3: Fehlbildungsvarianten der Mamma
Struktur Bezeichnung Merkmal
Mamillen-Areolakomplex Athelie
Polythelie
Hohlwarze
fehlende Mamille
akzessorische Mamille
Inversion der Mamille
Brustdrüse Amastie
Amazonensyndrom
Polymastie
tubuläre Brust
fehlende Brustdrüse
einseitige Mammahypoplasie
akzessorisches Mammagewebe
fehlende/hypoplastische konstriktive
Submammafalte
fehlender/hypoplastischer kaudaler
Drüsenanteil
Herniation der Areola
Thoraxwand Poland-Syndrom Amastie, Athelie, Fehlen des sternalen Anteils
des M. pect. major, Fehlen von subkutanem
Fett und axillärer Behaarung, skelettale Fehlbildungen
im knöchernen Thorax sowie der
oberen Extremität, Fehlen weiterer muskulärer
Strukturen im thorakalen Bereich

Fehlbildungen der Brustdrüse

Auch die Amastie als Fehlbildung der Brustdrüse kommt nur selten ohne begleitendes Syndrom vor. Hier stehen Therapieoptionen über Augmentation mit autologem (Latissimus- dorsi oder TRAM/DIEP-Flap) oder alloplastischem Material nach Erreichen der endgültigen Körpergröße zur Verfügung. Akzessorische Mammae treten relativ selten auf. Meist fallen sie erst in der Laktationsperiode über Schmerzen und gelegentliche Mastitiden durch Abflussbehinderung auf. Bei unproblematischem Verlauf besteht kein Therapiebedarf. Bei familiärer Disposition zu Mammakarzinomen ist eine Entfernung des akzessorischen Mammagewebes zu diskutieren. Wie bei der Polythelie finden sich auch bei der Polymastie gehäuft Nierendoppelanlagen.

Tubuläre/tuberöse Mammafehlbildung (Rüsselbrust)

Die Ätiologie der komplexen uni- oder bilateralen Fehlbildung einer sogenannten Rüsselbrust ist unklar. Eventuell kommt es zum Ausbleiben der Facia superficialis an der Thoraxwand beim Beginn des Brustdrüsenwachstums in der Pubertät. Dadurch soll es zu einem ausschließlich anterioren Brustwachstum kommen. Der Fehlbildungskomplex der tubulären Brust wird definiert durch eine fehlende oder hypoplastische und konstriktive Submammafalte, einen fehlenden oder hypoplastischen kaudalen Drüsenanteil sowie die Herniation der Areola. Es existieren mehrere Klassifikationen (Rees u. Aston, Grolleau, Von Heimburg), von welchen eine der am häufigsten verwendeten diejenige von Grolleau ist (Tab. 4). Therapeutisch kommt hier bei hohem Leidensdruck die plastische Korrektur, vorzugsweise mit Eigengewebe, in Betracht.

Tab 4: Klassifikation nach Grolleau der tubulären/tuberösen Mammafehlbildung
Typ I lediglich medialer unterer Quadrant defizient
Typ II Defizienz beider unterer Quadranten. Die Areola ist nach unten
abgewichen. Das subareolare Hautsegment ist kurz.
Typ III Defizienz aller vier Quadranten, Konstriktion der Brustbasis in vertikaler und horizontaler Richtung

Das Poland-Syndrom

Das Poland-Syndrom wurde erstmals 1841 von Sir A. Poland beschrieben und kommt in einer Inzidenz von 1 : 30 000, einer Seitenpräferenz rechts : links = 2 : 1 sowie ohne Geschlechtspräferenz vor. Ätiologisch kommt es durch ein vaskuläres Ereignis in der sechsten SSW zu einer Hypoplasie und Okklusion der A. subklavia, die wahrscheinlich durch das Wachstum der Rippen bedingt sind. Je proximaler die A. subklavia okkludiert, je schwerer findet sich in der Folge das klinische Bild (Poland-Syndrom, Moebius-Syndrom, Klippel-Feil-Syndrom). Beim Poland-Syndrom finden sich in sehr variabler Ausprägung

  • Amastie und Athelie,
  • Fehlen des sternalen Anteils des Musculus pectoralis major,
  • Fehlen von subkutanem Fett und axillärer Behaarung,
  • Fehlbildungen im knöchernen Thorax sowie
  • Fehlbildungen der oberen Extremität.

Bei Wunsch nach Korrektur kommen die autologe Augmentation sowie ein alloplastischer Ansatz infrage. Vor Lappenplastiken sollten, gegebenenfalls über CT-Diagnostik, fehlende muskuläre Strukturen definiert werden. Mammahypoplasie und Mammaasymmetrie sind keine Fehlbildungen. Die Mammaasymmetrie ist physiologisch. Neben den unbestrittenen psychologischen und kosmetischen Problemen kann es jedoch bei sehr ausgeprägten Asymmetrien zu deutlichen statischen Problemen kommen. Bei hohem Leidensdruck kann hier die operative Korrektur, frühestens zwei Jahre nach der Menarche, geplant werden.

Fazit für die Praxis

Die Brust ist in ihrer Entwicklung sowohl endokrinologischen als auch embryonalen und chromosomalen Einflüssen ausgesetzt. Diese können zu unterschiedlichsten Störungen in der Brustentwicklung führen. Die Therapie der Entwicklungsstörungen ist stets abhängig von deren Ätiologie, deren Ausprägung sowie vom Alter und vom Wunsch der Betroffenen.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Bettina Löhrs
Frauenklinik im Klinikum Landshut
Robert-Koch-Straße 1
84034 Landshut
E-Mail: bettina.loehrs@noSpam.klinikum-landshut.de